Ueber subkutane und submuköse Hartparaffinprothesen1)
H. Eckstein
1902
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Vor bald zweiJahren zeigte bekanntlich R. Gersuny (1) in Wien, dass man durch subkutane, resp. submuköse Einspritzungen von Vaselin (Unguentum paraffini) vielen schwierigen chirurgischen Indikationen auf sehr einfache Art genügen kann. So erzeugte er eine Hodenprothese bei einem wegen Tuberkulose doppelseitig kastrirten jungen Manne, heilte eine seit langer Zeit bestehende, allen chirurgischen Maassnahmen trotzende Incontinentia urinae bei einer Frau, bei welcher der Sphincter vesicae und die
more »
... nze Urethra zerstört waren. Die günstigen Erfolge dieser Methode wurden bald von Halban (2), y. Frisch und Kapsammer (3) bestätigt. Aber schon kurze Zeit darauf berichtete Pfannenstiel (4), der nach Gersuny's Vorgang versuchte, eine aus ähnlichen Ursachen entstandene Incontinentia urinae zu beseitigen, dass er nicht nur keinen Erfolg gesehen habe, sondern dass die Vaselineinspritzungen eine gefahrdrohende Lungenembolie zur Folge gehabt hätten. Auch hat es sich möglicherweise in einem der von Kapsammer berichteten Fälle um eine Lungenembolie gehandelt. Ausser Pfannenstiel, der auf Grund seiner ungünstigen Beobachtung vor den Vaselineinspritzungen warnte, wurde der Methode ein anderer Vorwurf durch H. Meyer (5) gemacht, der auf Grund früherer Thierversuche eine schädliche Wirkung nach der über kurz oder lang eintretenden Resorption oder Verschleppung des Vaselins in andere Korpergegenden für möglich hielt. Beide Einwände sucht der Assistent Gersuny's, Moszkowicz (6), zu entkräften. Er weist mit Recht darauf hin, dass die Versuchsanordnung Meyer's nicht einwandsfrei und mit der beim Menschen vorgenommenen Injektion weder der Methode noch dem verwandten Materiale nach ohne weiteres zu vergleichen sei. Wenn er dagegen meint, dass die Lungenembolie Pfannenstiel's dadurch zu erklären sei, dass dieser statt Vaselin (Paraffin) vom Schmelzpunkte 400 ein solches vom Schmelzpunkte 450 verwandt habe, so ist dies, meiner Ueberzeugung nach, nicht zutreffend. Im Gegentheil glaube ich, dass das Gersuny'sche Vaselin noch leichter Lungenernbolieen erzeugen kann, als das Pfannenstiel's, da es im Körper seinem niedrigeren Schmelzpunkte entsprechend weicher sein muss. Ein weiterer, und zwar zweifelloser Nachtheil des Vaselins ist der Umstand, dass es im Körper zunächst die flüssig-weiche Consistenz beibehält, die es bei der Einspritzung hatte, und dass es dann erst im Laufe von Wochen und Monaten durch Einwucherung von Bindegewebe fest wird. In Folge dieser Eigenschaft ist es nirgends verwendbar, wo es nach der Injektion einer äusseren Gewalt oder einem Muskeidrucke ausgesetzt ist, da es sofort nach der Richtung des geringsten Widerstandes ausweicht und in den Bindegewebsspalten verschwindet. Auch kann es sich, dem Gesetze der Schwere folgend, nach unten senken. Dies passirte Gersuny selbst, bei dem das in zwei Fällen von Hernia inguinalis in die Gegend des Bruchringes eingespritzte Vaselin in das Scrotum rutschte. Als letzter Nachtheil muss noch erwähnt werden, dass das Vaselin, wie von Gersuny und anderen, z. B. Luxenburger (7), berichtet wurde, theilweise resorbirt wird. Dieser Umstand verschlechterte das von Luxenburger in zwei Fällen von Herniatrophia facialis progressiva erhaltene Resultat schon nach 11/2 Monaten, sodass eine Nachfüllung nöthig war. Die geschilderten Nachtheile lassen sich nun sämmtlich mit ziemlich grosser Sicherheit vermeiden, wenn man nicht Vaselin, resp. ein ähnlich hochschmelzendes anderes Paraffin verwendet, sondern einen Stoff, dessen Schmelzpunkt hoch über der Körpertemperatur liegt. Ein solcher Stoff ist das dem Vaselin chemisch nahestehende, aus der histologischen Technik bekannte Hartparaffin. Die von uns in der J. Wolff'schen Klinik schliesslich verwandte Sorte schmilzt bei 57600, ist leicht sterilisirbar und kann mittels der nachher zu schildernden Technik unschwer ein-1)
doi:10.1055/s-0029-1203630
fatcat:xxddbvuvxfctbkzcoroidyozm4