Brüchige Sichtbarkeiten. Medienmechanismen amerikanischer Bildpolitik nach 9/11 [chapter]

Katja Müller-Helle
Hillarys Hand  
Der amerikanische Journalist Walter Lippmann eröffnet seine Abhandlung Public Opinion von 1922 mit einer Inselgeschichte. Unter der Überschrift The World Outside and the Pictures in Our Heads lässt er im Herbst des Jahres 1914 eine Delegation von Engländern, Franzosen und Deutschen den Beginn des ers ten Weltkrieges verpassen. Die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ver mehrt verlegten Tiefseekabel zur Nachrichtenübertragung werden in großem Bogen an der Insel vorbeigeführt und auch
more » ... Postschiff kommt nur alle 60 Ta ge. Nachrichten sind eine Sache des zeitlichen Aufschubs. Mit sechs Wochen Verspätung erfahren die Inselbewohner Mitte September, dass sich England, Frankreich und Deutschland im Krieg befinden. »For six stränge weeks they had acted as if they were friends, when in fact they were enemies.« (Lippmann 1922: 3) Das Bild im Kopf und das Weltgeschehen, die Unterscheidung zwischen Freund und Feind sind nicht mehr deckungsgleich; die Nachricht vom Krieg lässt die gemeinsamen Tätigkeiten der Inselbewohner retrospektiv zu einer in Realität gekleideten Maskerade erstarren. Lippmanns Eingangserzählung entwirft ein Szenario der Ungleichzeitigkeit des Kriegsgeschehens mit dem persönlichen Erleben der Einzelnen. »There was a time for each man when the picture of Europe on which men were conducting their business as usual, did not * Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Fassung des Textes »Risse im Bildgewebe. Bildpolitiken der Abwesenheit«, der im Rahmen der Ausstellung »This is Willem
doi:10.14361/transcript.9783839427491.187 fatcat:lmbgpylwubbpnlmj23cadqt4xu