Über einen fall von atypischer myotonie und die ergebnisse elektrographischer untersuchungen an demselben
O. Albrecht
1916
Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie
Die versehiedenen Versuche, welche darauf ausgingen, die P~thogenese der myotonischen Erscheinungen zu erforsehen, haben bis jetzt nur Hypothesen gezeitigt. Das ist fast selbstverst~ndlieh angesichts der Tatsache, dal~ die Physiologie der tonisehen Innervation noch viel zu wenig gekl~rt ist, als dal~ wir erwarten dilrften, einsehl~gige Fragen der Pathologic schon jetzt einer LSsung zuftihren zu k6nnen. Um so mehr sind wir aber bereehtigt, ja verpfliehtet, symptomatologisch registrierend
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... zu sammeln und Beobachtungen festzulegen, deren Verwertung in dieser Richtung vielleicht spaterhin m6glieh sein wird. Besonders die Formen atypischer Myotonie verdienen hier Beaehtung 2). Von diesem Standpunkte aus sei zun~ehst die folgende Krankengesehichte mitgeteilt. In einem weiteren Absehnitte sollen die durch die Eigentfimlichkeit des Falles m5glieh geworden besonderenen elektrographischen Untersuchungen geschildert werden. I. Die Krankengeschichte. 1. Vorgeschichte. Pat. ist der 22 Jahre alte Sohn armer TagelShner aus der Umgebung von Graz. Er berichtet, dab sein Vater gesund sei. Die Mutter starb 1911, 46 Jahre alt, an einem Lungen-und Blasen-oder Nierenleiden. Sie hatte oft starke Kr~mpfe. "Es hat sic dabei zusammengezogen." Er zeigt ihre Stellung ira Sitzen wahrend der Kr~mpfe mit vorgebeugtem KSrper und in allen Gelenken flektierten oberen 1) Verf. derzeit im Felde. Einschlagige Publikationen des letzten Jahres konnten nicht beriicksichtigt werden. 2) Vgl. Pelz, Ubcr atypische Formen der Thomsenschen Krankheit (Myotonia congenita). Archiv f. Psych. 45, 704. O. Albrecht: Uber einen Fall von atypischer Myotonie. 19~ Gliedmal~en. Sie konnte erst naeh einigen Minuten aufstehen und klagte dann fiber Sohmerzen in allen Extremit~ten. Pat. hatte drei Briider im Alter yon 25, 16 und 11 Jahren. Der ~ltere Bruder hatte auch Krampfe, welohe Pat. nicht selbst sah, well die Gesehwister friih aus dem Hause kamen, die aber nach der Besehreibung der Mutter ahnlich gewesen sein dfirften wie ihre eigenen. Der Bruder erz~hlte oft, dab er Krampfe in der Nacht hatte, dal~ er dabei kein Glied rfihren konnte, well der ganze KSrper steif war. Von sioh selbst gibt Pat. an, des er schon seit Kindheit zeitweise Krampfe verspiirt hat, insbesondere konnte er niemals lange gehen. Naeh grSl~eren Streeken, die er zurfickgelegt, wurden ibm besonders die Unterschenkel steif, sie schmerzten ihn; aul3erdem empfand er Sehmerzen in den Knien und in den Leistenbeugen. Er vermied deshalb sehon als Kind lebhaftere Bewegungen und sah in der Wiese sitzend zu, wenn die Altersgenossen spielten. Die Sehule besuchte er nur kurze Zeit, kam dabei nieht vorw~trts, lernte nur notdfirftig Lesen und Schreiben. Im Alter von 11 Jahren wurde er als Kuhknecht in Dienst gegeben. Er erhielt viel Sohlage, weft er alles zu langsam maehte, mit der Arbeit nicht naehkam. Vor 5 Jahren hatte er zum erstenmal einen Zustand yon Bewu$tlosigkeit, der sieh durch ein Flimmern vor den Augen und kurzen Schwindel einleitete.
doi:10.1007/bf02867758
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