Stanisław Kozicki, Pamiętnik 1876-1939

Stefan Hartmann
2010
Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 59 (2010) H. 2 268 eine Schwachstelle ist, resultiert paradoxerweise aus der Schreibfreudigkeit dieser sehr jungen Autor/inn/en. Sie sind breit belesen und zitieren gern, sowohl andere Historiker als auch die Klassiker der Kulturwissenschaft. Dadurch nähern sie sich ihren Themen aber nicht, sondern verwandeln ihre Aufsätze in Zitatsammlungen. Ein weiteres Manko bildet der assoziative, sprunghafte Aufbau mancher Beiträge. Summa summarum: der Leser findet
more » ... in diesem Band Forschungsergebnisse, er muss sie aber selbst aus der Masse des Textes herausfiltern. Werk geht von dem häuslichen Umkreis des 1876 in Masowien als Sohn einer Gutsbesitzerfamilie geborenen K. aus, der Agrarwissenschaften in Halle studierte, dort mit polnischen Studentenvereinigungen in Berührung kam und dem Jugendbund Zet beitrat, über den er zu der von Roman Dmowski reorganisierten Liga Narodowa gelangte. Die enge Bindung an Dmowski und die von ihm geführten Nationaldemokraten, die in der Anlehnung an Russland mit weitgehender Autonomie eines wiedervereinigten Polen und der Stoßrichtung gegen Deutschland das wichtigste Ziel ihres politischen Programms sahen, sollte ihn sein Leben lang bestimmen. Wenn er auch gegen die von der zaristischen Regierung betriebene Russifizierung Kongresspolens Front machte, blieb für ihn ein polnischer Nationalismus auf Grundlage der "piastischen Idee", d.h. eines mit seinem Machtanspruch nach Westen orientierten polnischen Staatswesens, maßgebend. Dabei sprach er sich für die von Dmowski postulierte "Realpolitik" anstelle des romantischen Gedankenguts Józef Piłsudskis aus, der als Anhänger der "jagiellonischen Idee" hoffte, das polnisch-litauische Doppelreich in Gestalt eines Commonwealths wiederherstellen zu können. Im Einklang mit seinen politischen Prinzipien stand K.s Weggang nach St. Petersburg kurz vor dem deutschen Einmarsch in Warschau, von wo er 1917 auf Veranlassung Dmowskis nach London und von dort Ende 1918 nach Paris überwechselte, wo er als Generalsekretär der polnischen Delegation auf den Friedenskonferenzen eine wichtige Rolle spielte. Die folgenden Stationen in K.s Leben waren ein längerer Aufenthalt in Posen, das im wiedererstandenen Polen ein Zentrum des nationaldemokratischen Lagers war, die Tätigkeit als Abgeordneter des Związek Ludowo-Narodowy [Nationaler Volksbund] im Sejm sowie seine Berufung als Bevollmächtigter der polnischen Regierung nach Rom, die im Maiumsturz von 1926 ihr Ende fand. Aufschlussreich sind hier seine Kontakte mit Benito Mussolini, in denen es u.a. um Kohlelieferungen aus dem polnischen Teil Oberschlesiens nach Italien ging. Anschließend hielt er sich in Danzig auf, wo er sich mit den Problemen der "Freien Stadt" vertraut machte. Er engagierte sich intensiv in dem gegen Piłsudski und dessen Anhänger gerichteten "Großpolnischen Lager" -wobei er auch nach dem Abschluss des deutsch-polnischen Nichtangriffspaktes vom 26. Januar 1934 die Deutschen als Hauptgegner der polnischen Republik bezeichnete, was sich im Herbst 1939 bewahrheiten sollte -und trat für einen geschlossenen polnischen Nationalstaat ein im Gegensatz zu den föderativen Konzepten der Sanacja, die praktisch schon im Rigaer Vertrag von 1921 gescheitert waren. Auch während der nationalsozialistischen Besetzung Polens im Zweiten Weltkrieg, als er als Berater der polnischen Untergrundarmee fungierte und 1944 am Warschauer Aufstand teilnahm, verfolgte K. dieses Ziel konsequent weiter und geriet nach der kommunistischen Machtübernahme ins politische Abseits, das er zur Abfassung seiner Memoiren 1950Memoiren -1954 in Schlesien nutzte.
doi:10.25627/20105929049 fatcat:uwcrlvpwmbhffcqgk6knln6otm