Der Erste bei der verfassungsrechtlichen Überformung des Privatrechts. Thilo Ramm zum 85. Geburtstag
Peter Derleder
2010
Kritische Justiz
Peter Derleder Der Erste bei der verfassungsrechtlichen Überformung des Privatrechts Thilo Ramm zum 85. Geburtstag Thilo Ramm war ein Solitär der Arbeitsrechtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg und ist bis heute ein Solitär geblieben, mit Ecken und Kanten, prononcierten Bekundungen von Respekt oder Desinteresse, Eigenwilligkeiten und Distanziertheit. Auch dem 85jährigen, der 1925 in Darmstadt geboren wurde, sieht man diese Mischung nicht an, da er stets einen offenen, wachen, freundlichen,
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... ja charmanten Habitus behalten hat. Der früh verstorbene Vater war Angestellter eines weltberühmten Pharmaunternehmens, in dessen Auftrag er gelegentlich bis nach New York kam, mit gutem Englisch, insofern ein Vorbild. Fast wichtiger noch wurde ihm sein über ein Jahrzehnt älterer Bruder, der dem Schüler erste Instruktionen für eine wissenschaftliche Weise des Herangehens an Konflikte gab, aber noch vor Kriegende fiel. Alles überstrahlte aber die vitale Mutter, die vieles von ihm forderte, gefühlsmäßig die Nazis verachtete und auch den Sohn vor ideologischen Verwirrungen bewahrte. Mit dem elterlichen Ehrgeiz war es verbunden, dass der Junge eine Klasse übersprang und schon mit neun in die Sekundarstufe kam. Das hatte entscheidende Bedeutung für sein weiteres Leben, weil er mit 17 Abitur machen konnte, nicht gleich eingezogen wurde und 1942/43 noch drei Semester Jura in Frankfurt und Marburg absolvieren konnte. An den elterlichen Bildungshaushalt knüpfte er mit der Lektüre der großen Historiker (Ranke, Treitschke u. a.) an. In Marburg 1943 war von vornherein Fritz von Hippel (Jahrgang 1897) seine Hauptbezugsperson im Unterricht wie in der Haltung. Dekan und dann auch Rektor der Universität Marburg war zu dieser Zeit Parteigenosse Rudolf Reinhardt, der vom Gauleiter empfohlen war. Als Thilo Ramm mit einem etwas nazikritischen Sketch auffiel, half ihm Reinhardt mit einer Unterbrechung des Studiums zugunsten des Fronteinsatzes, es hätte Schlimmeres kommen können. Den Rest des Krieges überstand der Soldat, wenn auch nicht ganz unverletzt. In Anlehnung an seinen Vater hatte er sich guter Englischkenntnisse berühmt, weswegen ihn dann 1945 in Augsburg ein US-Oberstleutnant zum Übersetzer und Dolmetscher wählte. Von der Mutter, die zunächst in den Osten verschlagen war, war er schon länger getrennt und entwickelte sich als Angestellter der US-Militärregierung zu einer selbständigen Persönlichkeit, ein ansehnlicher Mann, mit immer besseren sprachlichen Kenntnissen, eigenständiger soziologischer Beobachtung des Entnazifizierungsdiskurses und ein Informationsvermittler zwischen der Besatzungsmacht und dem einer Erziehung zur Demokratie bedürftigen deutschen Volk. So half er kleinen Selbständigen, denen wegen Parteizugehörigkeit ein Betriebstreuhänder drohte, zu einer eigenständigen Selbstdarstellung jenseits des Fragebogens, da die Betriebe mit der Bezahlung eines Treuhänders überfordert gewesen wären. Außerdem nahm er an den Diskussionen über die Zukunft im Kalten Krieg auch unter den Militärs teil.
doi:10.5771/0023-4834-2010-1-108
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