Der Tod auf offener Szene. Tacitus über Nero und die Ermordung des Britannicus
Ulrich Schmitzer
2009
Ein scaenicus wie Nero -ein Herrscher, der die ihm gemäße Rolle nur auf der Bühne findet -werde leicht aus dem Weg zu räumen sein, so machten sich die Verschwörer um Piso gegenseitig Mut (Tac. ann. 15,59) -bekanntlich täuschten sie sich damit katastrophal über die realen Bedingungen ihres Handelns. Scaeni cus ist Nero dennoch für die Nachwelt geblieben und damit das vielfach behandel te Sujet im Drama -genannt sei RACINES "Britannicus" -, in der Oper -genannt seien MONTEVERDIS "L'incoronazione
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... i Poppea" und HANDELS "Agrippina" -und im Film -genannt sei natürlich Quo vadis. In der Rezeption wird damit ein Aspekt von Neros Wesen verstärkt und beinahe verabsolutiert, der schon in der zeitgenös sischen Wahrnehmung eine wichtige Rolle gespielt hatte, zunächst jenseits einer positiven oder negativen Bewertung: die Bühnenhaftigkeit von Neros Auftreten. Wie sehr dieses theatralische Paradigma konkrete Auswirkungen auf die Bedingungen individueller Existenz haben konnte, zeigt eine Begebenheit, die Tacitus in prinzipieller Übereinstimmung mit den Angaben bei Sueton und Cassius Dio berichtet. Sie wirkt auf den ersten Blick nur anekdotisch, doch genauer betrachtet gewinnt sie exemplarischen Wert. Daraus erfahren wir, daß das Leben in Rom unter der Regierung des Nero mitunter sehr unangenehme Überraschun gen bereithielt: Ein Senator sah sich eines Nachts mitten im dunklen Rom einer Bande von Straßenräubern gegenüber, gegen die er sich mit allen ihm zur Verfü gung stehenden Mitteln wehrte. Doch mit einem Mal erkannte er, daß es Nero selbst war, der sich mitsamt seinen Freunden einen der üblichen, für die Opfer aber recht gefährlichen Scherze erlaubte. Nun beging der Senator einen entschei denden Fehler (Tac. ann. 13,25,6): luliusque Montanus senatorii ordinis ... congressus forte per tenebras cum principe, quia vi attemptantem acriter reppulerat. deinde adgnitum oraverat. quasi e.xprobrasset, mori adactus est. Iulius Montanus aus dem Senatorenstand ... war zufällig in der Dunkelheit mit dem Princeps zusammengetroffen, und weil er diesen, der ihn gewaltsam angriff, heftig zurückgestoßen hatte, dann aber ihn erkannt und um Gnade angefleht hatte, wurde er zum Tod gezwungen, als ob er dem Princeps Vorwürfe gemacht hätte. 1 Die hier vorgelegten Erwägungen gehen auf einen Vortrag zurück, der in unterschiedlicher Form zu unterschiedlichen Anlässen an den Universitäten Münster. Konstanz. HU Berlin. Erlan gen (auch beim dortigen Symposion der Klassischen Philologen Bayerns. Tirols und Thüringens) sowie Göttingen gehalten wurde. Allen, die mir durch Diskussionsbeiträge weitergeholfen ha ben, bin ich zu Dank verpflichtet. 338 ULRICH SCHMITZER Richtig wäre es gewesen, hätte sich Iulius Montanus nicht wie gegenüber dem Herrscher, sondern wie gegenüber einem Banditen verhalten. 2 Er hätte dann das Spiel nicht decouvriert, das sich Nero ausgedacht hatte, sondern wäre darauf eingegangen und hätte sich dessen Regeln unterworfen. In dieser Begebenheit formuliert Tacitus prägnant einen wichtigen Aspekt seiner historischen Diagnose: Rom ist unter dem Principat zum Theater geworden; die Römer sind Mitwirkende in einem Stück, bei dem es darauf ankommt, in der jeweiligen Situation die richtige Rolle zu übernehmen. Damit hat sich eine Tendenz verstärkt und in ihren Folgen verschärft, die schon in der Zeit der Republik zu verspüren war, als sich Theater und Politik in mehrfacher Weise einander annäherten: Zum einen war das Theater der Raum, in dem das Volk in symbolischer Weise an der Politik mitwirken konnte, etwa in der Skala von Beifall über Schweigen bis Schmähung, die es exponierten Personen des Staatslebens angedeihen ließ (davon berichtet Cicero in der Rede "Pro Sestio"), sodann durch die Reaktion des Publikums auf Bühnentexte, die als Allegorie des Tagesgeschehens neue, von der Autorenintention unabhängige Bedeutung erhielten, 3 oder indem schließlich direkt eine Bühnenmetapher für politisches Handeln gewählt wurde, etwa von Cicero in Phil. 2,34, 4 wo er (anläßlich der Auseinandersetzung über Caesars Tod) ein Denken nicht nur in Akten, sondern in ganzen Stücken fordert, oder in den berühmten last words des Augustus, wenn er den Mimus seines Lebens richtig gespielt habe, dann erbitte er sich nun den Schlußbeifall. 5
doi:10.11588/propylaeumdok.00000184
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