Der Kontrakt des Zeichners. Barent Fabritius und die disegno-Theorien der Frühen Neuzeit [chapter]

Ulrich Pfisterer
2011
Barent Fabritius und die disegno-Theorien der Frühen Neuzeit Vom Zeichnen auf den er sten Blick keine Spur -vielmehr sitzt ein junger Maler konzentr ier t vor einer Staffelei bei der Arbeit mit Pinsel und Far ben (Abb. 16). 1 Alle Aufmerksamkeit gilt dem Zusammenspiel von konzipier endem und zugleich pr üfendem Blick, ausführender Hand und entstehendem Gemälde. Allerdings ver wehrt die schräg ins Bild gesetzte Leinwand dem Betrachter, den eigentlichen Malakt und dessen Ergebnis zu sehen, so
more » ... hier die Phantasie eines jeden gefordert ist, die >Leerstelle< auszufüllen. Erst nach einiger Zeit beginnt man, die weiteren Ausstattungsstücke des kargen Arbeitsraumes bewusst wahrzunehmen.-Der Ort der Handlung wird nur angedeutet: Holzdielen, gelblich-weiß verputzte Wand und Kamin-Nische. Links sind zwei weitere Leinwände auf Keilrahmen mit der Vorderseite gegen die Wand gelehnt. Die große und schwungvolle Signatur »B. Fa[bri]tius« auf der vorderen verrät dabei, dass unser Gemälde von Barent Fabritius (1624-1673) stammt. Uber diesen Leinwänden hängen nicht nur Degen, Stiefel und Mantel an einem Haken, sondern auch ein ungerahmtes (?) Portrait. Beim Kamin prangen eine frische Palette und ein Malstock, am Boden steht eine Kanne, daneben liegen ein Farbkasten und weitere Pinsel. Etwas weiter weg hat der Maler zu seinen Füßen eine Pfeife und ein graphisches Blatt abgelegt. Schließ lich bemerkt man bei noch genauerer Betrachtung, dass nicht nur ein weiteres Blatt mit einer Landschaftsskizze an die Wand hinter dem Maler geheftet wurde, sondern sich dort auch noch einige Kritzeleien direkt auf dem hellen Putz befin den: eine querformatige Perspektivstudie, die Karikatur eines Kopfes mit heraus gestreckter Zunge, dem eine wesentlich kleinere, hockende Figur den blanken Hintern entgegenstreckt (also offensichtlich die Verbildlichung eines geläufigen Schimpfwortes), des weiteren ein Phallus und darunter eine Kinderzeichnung, die einen Mann mit langem Mantel und hohem Hut zeigt. Einiges spricht für die Hypothese, dass Barent Fabritius hier seinen jünge ren, rund zwanzigjährigen Bruder Johannes (1636-1693) dargestellt hat,' wie dieser im Atelier des Barent im holländischen Midden-Beemster in den finalen Zügen seiner Ausbildung oder aber als gerade >fertiger< Maler arbeitet. Entstanden sein dürfte das Gemälde um 1655 in Kenntnis der letzten Werke des Carel Fabritius, des ältesten und berühmtesten der drei Malerbrüder, der 1654 bei der Explosion des Amsterdamer Pulvermagazins getötet worden war.' Im Kontext dieser Aus stellung gewinnt jedoch ein anderer Aspekt des Werks zentrales Interesse: Weit davon entfernt, die >quasi-photographische Momentaufnahme< eines Malers bei der Arbeit zu sein, wird sich das Arrangement dieses Atelierbildes als anschau liches Lehrstück über künstlerisches Schaffen, über Malerei und Zeichnung zu erkennen geben. s Dabei thematisiert die Darstellung -ganz entgegen dem ersten 1
doi:10.11588/artdok.00001659 fatcat:yl4y7oemj5hj3c63jxvobgfx4m