Licht in der Finsternis

Stephan Wahle
2022
Die nächtlichen Liturgien von Ostern und Weihnachten «O lichtbringende und wunderbare Nacht, die heller ist als jeder Tag! Auf jeden Tag folgt eine Nacht, doch auf diese lichtbringende Nacht folgt keine Nacht mehr!» 1 Wer assoziiert mit diesen Worten nicht eine Anspielung auf die Osternacht, in der im Licht der Osterkerze der auferstandene Gekreuzigte die Menschen vom Dunkel befreien will? Doch der Autor dieser Zeilen preist hier nicht in Analogie zum österlichen Exsultet die «wahrhaft selige
more » ... cht ..., in der Christus erstand von den Toten» 2 . Dem Zitat liegt vielmehr die Jerusalemer Predigt eines Ps.-Johannes Chrysostomos zu Epiphanie vor der Mitte des 5. Jh. zugrunde. In dieser Predigt wird die Geburt Christi als Inhalt des Festes am 6. Januar und als Grund für die Lichtwerdung der Nacht gepriesen. Als nächtliches Geschehen interpretiert, vermischen sich hier kosmologische und soteriologische Aussagen über Christi Geburt mit der in der Antike breit belegten Licht-und Sonnenmetaphorik. Der «Tag» wird zu einem christologischen Hoheitstitel, der mit der Inkarnation des göttlichen Logos ansetzt und der die geläufigen christologischen Attribute in eine ästhetisch und zeittheoretisch hochstehende Perspektive «verklärt». Erst im 4. Jh. kommt es sukzessive zur Ausgestaltung eines liturgischen Jahresverlaufs -bis dahin einzig durch das Wochen-und Jahresostern gegliedert -in Form spezifischer Gedächtnisfeiern, die zum Teil mit einem Gottesdienst in der Nacht eröffnet werden. Dabei liegt dem nächtlichen Zeitansatz einer altkirchlichen Vigil wie einer zeitgenössischen Christmette oder Osternachtsfeier mehr als nur eine mehr oder weniger eindrucksvolle Symbolik zugrunde. Subtil und eindrucksvoll zugleich offenbart sich hierin
doi:10.57975/ikaz.v36i5.5677 fatcat:oria6sn7zrdvrdhyxxnaylxmsu