Wandlungen in den Bündnisformen und der Vormachtpolitik der Sowjetunion in Ostmittel- und Südosteuropa

Boris Meissner
1985 Comparative Southeast European Studies  
Wandlungen in den Bündnisformen und der Vormachtpolitik der Sowjetunion in Ostmittel-und Südosteuropa Die Errichtung der sowjetischen Hegemonie in Ostmittel-und Südosteuropa unter Stalin Infolge des Zweiten Weltkrieges und seiner Auswirkungen ist es der Sowjetuni on gelungen, in Ostmittel-und Südosteuropa eine Vormachtstellung zu errin gen. Diese Hegemonie ist Wandlungen unterworfen gewesen, die zeitweilig ihre imperialen Züge verstärkt haben. Dies hat dazu geführt, daß sich nicht nur die
more » ... und andere Medien, sondern auch einzelne Wissenschaftler angewöhnt haben, von einem Sowjetimperium zu sprechen. Dieses wäre berechtigt, wenn es der Sowjetunion gelungen wäre, über eine Blockbildung hinaus eine föderative oder mindestens konföderative Bindung ihrer ostmitteleuropäischen und südosteuropäischen Gefolgsstaaten herbeizu führen. Das ist im begrenzten Umfange am Vorabend des Zweiten Weltkrieges dyrch die Annexion der baltischen Freistaaten Estland, Lettland, Litauen, der vorwiegend von Ukrainern und Weißrussen bewohnten östlichen Provinzen Polens sowie von Teilen Finnlands und Rumäniens der Fall gewesen. Die Ausdehnung kommunistischer Herrschaft auf große Teile Europas und Asiens nach dem Kriegsende schien die Chancen für eine größere Ausweitung des bestehenden Sowjetimperiums zu eröffnen. Interessanterweise zögerte Sta lin, die von ihm selbst einmal empfohlene Form der Konföderation, des Staa tenbundes, auf die Verbindung der Sowjetunion mit den "Ländern der Volks demokratie" anzuwenden. Er zog es vor, zunächst ein kommunistisches Staa tensystem auf nationalstaatlicher Grundlage zu errichten, das im europäischen Bereich der unbeschränkten Befehlsgewalt Moskaus unterlag und damit in fak tischer, wenn auch nicht in rechtlicher Hinsicht, eine neue größere Gestalt des Sowjetimperiums darstellte. Die ideologische Begründung für eine solche kommunistische Staatenver bindung, wie sie weder von Marx, noch Lenin vorgesehen worden war, bildete Stalins Lehre von der "sozialistischen Nation", die er 1929 entwickelt hatte. Die von ihm dabei getroffene Unterscheidung von bürgerlichen und sozialistischen Nationen schloß zugleich die Möglichkeit der Koexistenz, d. h. des Nebeneinan derbestehens von "bürgerlichen" und "sozialistischen" Staaten ein. Entscheidend * Prof. Dr. jur. Boris Meissner, em.o. Professor für Ostrecht, 1964-1984 Direk tor des Instituts für Ostrecht der Universität zu Köln, o. Mitglied der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Düsseldorf.
doi:10.1515/soeu-1985-343-401 fatcat:royhdoiob5hbnigyjdqehgelo4