"Achill, das Vieh". Zur Problematisierung transgressiver Gewalt in klassischen Vasenbildern
[chapter]
S. [Hrsg.] Moraw, G. [Hrsg.] Fischer
2014
Achill, das Vieh", das ist der Held aus Homers Ilias in Christa Wolfs Erzählung Kassandra (1983): der Inbegriff des rohen, triebhaften Mannes. Sein Element ist der unmotivierte Kult der Gewalt im Krieg. Die Einseitigkeit dieser Sicht ist oft kritisiert worden, doch hat Achill auch sonst immer wieder zu einseitigaktuali sierender Neuinterpretation nicht nur in der Literatur Anlaß gegeben.' Und eine Homer ganz fremde Figur ist Christa Wolfs Antiheld nicht. In der Ilias beschreibt ihn Apoll (24,
more »
... 54) als tierisch, wild wie ein Löwe, der unter den Menschen mit Gewalt wütet, schamlos und ohne Mitleid. 2 Apoll ist parteiisch, ein ausge machter Gegner Achills. Die andere Partei verteidigt ihn als "weder unverstän dig, noch ziellos handelnd, noch frevelhaft" (24, 157). Kontroverse Urteile sind also schon im Epos des 8. Jhs. v. Chr. angelegt. In der modernen Forschung verhält es sich ähnlich. Achill sieht man entweder als entmenschten oder als zwar problematischen, aber identifikatorischen Held, als "reinigendes Ideal". 3 Zumin dest soviel ist klar: Die Motive für Achills Gewalttätigkeit sind bei Homer andere als bei Christa Wolf. Treibt ihn hier sein inhumanes männliches Wesen, so dort verletzte Ehre (time). Diese zu wahren und damit dem Prinzip von aidos, von Scham und Respekt, zu genügen, war Handlungsprinzip der Aristokraten zu Homers Zeit. Der Iliasdichter machte gerade die damit zusammenhängenden * Der Beitrag geht auf erste Überlegungen zu einem Kolloquium über Gewalt im Jahr 1999 zurück. Ich konnte ihn auch in Augsburg. Bochum und München zur Diskussion stellen. Für Hinweise und Diskussion danke ich B. Borg, J. N. Bremmer, L. Giuliani, S. Muth und S. Schmidt. 1 Vgl. nur K. C. King, Achilles. Paradigms of a War Hero from Homer to the Middle Ages (1987); J. Latacz, Achilleus. Wandlungen eines europäischen Heldenbildes (1995); E. A. Schmidt in: H. Hoffmann (Hrsg.). Antike Mythen in der europäischen Tradition (1999) 91-125; P. Michelakis, Achilles in Greek Tragedy (2002); V. Riedel, ,Der Beste der Griechen' -.Achill das Vieh', Aufsätze und Vorträge zur literarischen Antikenrezeption 2 (2002) 145-157; zu C. Wolfs Antikenrezeption: G. Most in: B. Seidensticker (Hrsg.). Mythen in nachmythischer Zeit (2001) 348-367 (mit weiterer Lit.); s. auch übernächste Anm.; zum Achillbild in der antiken Kunst s.
doi:10.11588/propylaeumdok.00002171
fatcat:xdui2oeyh5g2zg7fkxlk75vfqq