SAGENGESCHICHTLICHES ZUM HILDEBRANDSLIEDE

BRUNO BUSSE
1901 Beiträge zur Geschichte der Deutschen Sprache und Literatur  
Qui s'excuse, s'accuse, und doch möchte es vielleicht angebracht sein, den folgenden erörterungen eine kurze apologie vorauszuschicken. Das ehrwürdige, einzige denkmal des heldensangs unserer vorfahren hat schon so früh und in so reichem rnasse die aufmerksamkeit der forscher auf sich gezogen, dass es füglich unnötig scheinen möchte, die überreiche literatur noch zu vermehren. Mancher wird vielleicht auch fragen, was über den längst abgearbeiteten gegenstand noch irgendwie neues gesagt werden
more » ... nne, und unmutig diesen aufsatz bei seite legen; mancher, der aus Kauffmanns, Lufts, Josephs und anderer arbeiten mit staunen gesehen hat, dass man über das scheinbar längst abgetane thema noch ganz neues, unerwartetes vorbringen kann, wird vielleicht etwas ähnliches auch hier zu finden erwarten. Auch ihm würde die enttäuschung nicht erspart bleiben. Meine absieht war es überhaupt nicht, neues zu finden, sondern zu ermitteln, was man mit Sicherheit für die entwicklung der sage, speciell der deutschen, aus unserm liede herausholen kann. Dass dabei oft dinge gesagt werden mussten, die schon andere (von Uhland und Lachmann abwärts) längst erkannt hatten, dass auch ein grosser teil meiner ausführungen sich nur mit der kritik gegenteiliger ansichten zu beschäftigen hatte, lag in der natur der sä ehe. Aber ich glaube, es ist nicht minder verdienstlich, irrwege der forschung nachzuweisen, als positiv neue resultate ans licht zu fördern. Und ich halte die neuesten riehtungen der forschung über das Hildebrandslied, sowol bei Kauffmann, wie bei Luft und Joseph, die sich beide gegenseitig eng berühren, Beiträge zur geschichte der deutschen spräche XXVI. Brought to you by | New York University Bobst Library Authenticated Download Date | 6/3/15 9:32 PM 2 BUSSE für irrwege, und ich halte es zugleich für eine pflicht, den neuen, blendenderen resultaten z. b. Kauffmanns gegenüber an den bescheideneren, aber sicheren, die man schon früher kannte, festzuhalten und sie zu verteidigen: nicht etwa aus blosser oppositionslust oder Vorliebe für das alte: der erste teil meiner ausführungen wird, denke ich, zeigen, dass ich auch das alte, selbst wenn es im neuen gewande erscheint, ebenso kräftig bekämpfe. Wenn hier und da doch die lust am streite selbst hervorbrechen sollte, so bitte ich, das mit dem heisseren blut des anfängers entschuldigen zu wollen: persönlich irgend jemand zu nahe zu treten, lag mir vollkommen fern. Im übrigen habe ich zu bemerken, dass ich meinen ausführungen den text Braunes 1 ) zu gründe legen werde, dem ich mich ganz anschliesse (auseinandersetzungen mit anderen auffassungen sind gelegentlich weiter unten gegeben). Ich habe mich überall streng an die Überlieferung gebunden (ausgenommen, wo offenbare versehen vorliegen, die auch bei Braune schon verbessert sind, vgl. z. b. v. 26. 43), auch in der Verteilung der reden (vgl. unten teil II). Natürlich sehe auch ich, dass die Überlieferung durchaus nicht vollkommen, sondern erstlich lückenhaft, zweitens oft aus formalen gründen unhaltbar ist, und ich gestehe daher die berechtigung, ja sogar notwendigkeit von emendationen gern zu. 7 solchen emendationen verlange ich dann aber auch, dass sie zunächst formell tadellos seien, zweitens inhaltlich nichts dem sonstigen text fremdes in diesen hineinbringen, oder doch nichts, was nicht mit Sicherheit erschlossen werden kann. Aenderungen des textes, wie sie z. b. Joseph, Zs. fda. 43, 59 ff. vornimmt, von denen auch nur die wenigsten allein metrischen forderungen genügen können, glaube ich daher a limine abweisen zu müssen; für noch bedenklicher halte ich es aber, aus solchen schon formell unmöglichen Besserungen' inhaltliche Schlüsse ziehen zu wollen, wie sowol Luft, 2 ) als besonders Joseph es tun. Was sonst die methode anbetrifft, so war mein bestreben, mich möglichst eng an das zu halten, was im gedichte selbst J ) Braune, Ahd. lesebuch 4 s. 76. 2 ) W. Luft, Die entwicklung des dialogs im alten Hl. (diss.), Berlin 1895. Brought to you by | New York University Bobst Library Authenticated Download Date | 6/3/15 9:32 PM ZUM HILDEBRANDSLIEDE. *) Mau verzeihe, wenn icli schon hier in der einleitung dingv berühre, die vielleicht an sich am betreffenden orte besser am platze wären, dort aber jedenfalls nicht mit der wünschenswerten klarheit angebracht werden könnten. *) Etwas ganz anderes ist, es dort, wo eine directe literarische heeinilußsung nachweisbar ist, wie z. b. in den dem afnr.. epo* entlehnten oder ihm nahestehenden fnsHniitfcn der vaio.]*Ho]iiisagc. Brought to you by | New York University Bobst Library Authenticated Download Date | 6/3/15 9:32 PM *) Vgl. besonders den schluss, den die fremden fassungen auf den uns verlorenen ausgang des Hl. gestatten. 2 ) Vgl. unten unter I, C. 3 ) Vgl. Kauffmann s. 126-138; besonders zu beachten sind die aus der Schreibung -braut, -kräht für alter und lierkunft gezogenen Schlüsse.
doi:10.1515/bgsl.1901.1901.26.1 fatcat:aa2ohmh5h5b4bcofrusnkxdul4