Berichte und Kleine Mitteilungen

Yonne Franz, Bernhard Hubmann, Johannes Seidl, Peter Jordan, Heinz Nissel, Christine Embleton-Hamann
2013 Mitteilungen der Oesterreichischen Geographischen Gesellschaft  
Cities are an immense laboratory of trial and error, failure and success [...]" (JACOBS 1961, S. 6) In Städten lassen sich politische, ökonomische, soziale, demographische und ökologische Prozesse verorten und deren Auswirkungen direkt beobachten. Gerade US-amerikanische Städte bieten die Chance, solche Prozesse mitunter sehr originär in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen zu können: Selbstverantwortung und nachbarschaftliche Eigeninitiative aufgrund eines schwach ausgeprägten sozialen
more » ... s, Wohnungsmarktspekulationen und die Auswirkung einer globalen Weltwirtschaftskrise auf die Verfügbarkeit von leistbarem Wohnraum, zunehmende Segregation am Wohnungsmarkt und das immanente (Verkaufs-)Argument einer grünen, ökologisch nachhaltigen Stadt. Die Gründe, nordamerikanische Städte mit den uns bekannten europäischen Städten zu vergleichen, sind vielfältig und begründen die Auslandsexkursion im Wintersemester 2011/12. Das bereits traditionell gewählte Motto "Wachstum und Verfall US-amerikanischer Städte" birgt streng genommen eine geographische Ungenauigkeit, weil es die Exkursionsgruppe erstmals auch in eine kanadische Stadt führte. Die Exkursion begann am 9. Februar 2012 in Chicago, gefolgt von Detroit, ergänzt um Toronto, um schlussendlich stadtgeographisch breit aufgestellt in New York City anzukommen. Dem Ruf des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten folgten 28 Studierende des Instituts für Geographie und Regionalforschung sowie die Lehrveranstaltungsleiter Univ.-Prof. Dr. Heinz FASSMANN und Mag. Yvonne FRANZ. In Empfang genommen wurden sie von zahlreichen lokalen Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Politik, die dankenswerterweise Einblick in ihr umfangreiches Wissen zu aktuellen stadtgeographischen Themen gaben. "You have to get them into the world of opportunities." (Maureen HELLWIG 2012) 1) Segregation war neben Suburbanisierung und De-Industrialisierung das Leitthema des nächsten Exkursionsziels Detroit. Prof. em. Dr. Robert SINCLAIR führte durch eine Stadt, die seit den 1950ern einen extremen Bevölkerungsverlust erleidet und wie keine andere US-amerikanische Stadt die Folgen einer one horse strategy zu bekämpfen hat. Der Abstieg der Automobilindustrie aufgrund von Globalisierungsprozessen und letztendlich der Wirtschaftskrise führte nicht nur zur Schließung und Abwanderung von Unternehmen, sondern in gravierendem Maße zu Be völkerungsverlusten. Leerstand bei Geschäftslokalen und -häusern und verlassene Wohngebäude prägen das Bild von Downtown Detroit, die Suburbia zeigt hingegen ein lebendiges und abwechslungsreiches Gesicht. Lebendig und abwechslungsreich sind jedoch auch die Ideen und Aktivitäten einzelner Akteure, die Detroit und ihre Bevölkerung noch nicht aufgegeben haben. Die Urban Farming Bewegung ist inzwischen eng mit der Stadt Detroit verknüpft. Jedoch unterscheidet sich dieses urban movement von der kleinbürgerlichen Realisierung des eigenen Gartentraumes, wie man sie derzeit in deutschen und österreichischen Großstädten beobachten kann. Urban Farming bedeutet in Detroit, vor allem der black community den Zugang zu frischen, gesunden und leistbaren Lebensmitteln zu gewähren. Nebenbei wird Bewusstseinsbildung (Was wächst wann? Was ist Kohl und was lässt sich daraus zubereiten?) und nachbarschaftliches Miteinander vermittelt -beides Aspekte, die im Alltagsleben vieler Bewohner von Downtown Detroit verloren gingen und nun durch das Engagement Einzelner wieder zur Blüte gebracht werden. Das System "Urban Farming in Detroit" ist sehr vielschichtig. Deutlich wird dies einerseits bei der enorm gestiegenen Auswahlmöglichkeit an Restaurants, in denen nicht ausschließlich Fastfood angeboten wird. Die Verwendung lokal angebauter Obst-und Gemüsesorten ist inzwischen zur Marke "Organic Food from Detroit" geworden. Andererseits gibt es auch ökonomisch motivierte Akteure, die die Situation Detroits als ihre unternehmerische Chance wahrnehmen, wie John Hantz, ehemaliger Manager bei American Express, in Detroit geboren, mit seiner Familie dort lebend und Begründer von Hantz Group, des größten one-stop financial services in Midwest. Die Idee von Hantz Farms, so dessen Präsident Mike SCORE, liegt darin, in Downtown Detroit großflächig Land zu kaufen, es landwirtschaftlich -beispielsweise mit Weihnachts-oder Apfelbäumen -zu bewirtschaften und damit der Stadt in Form von Steuerzahlungen unter die Arme zu greifen. Landwirtschaft statt Automobilindustrie in Detroit -eine charmante Idee, die Zündstoff birgt. Denn es stellt sich die Frage, wie eine Stadt wie Detroit überschüssige Flächen, die sie selbst nicht instand halten kann, dem Bodenmarkt entzieht, um den städtischen Bodenpreis zu stabilisieren. Der Verkauf an Hantz Farms wäre eine Option, jedoch stellt sich berechtigterweise die Kritik ein, dass ein Investor wie John Hantz mit vergleichsweise geringem Kapitalaufwand mithilfe der Stadt zu einem Großgrundbesitzer in Detroit werden könnte. Es zeigt sich hier die Komplexität von Herausforderungen und Lösungsansätzen, die auch in Zukunft Detroit zu einem spannenden Exkursionsziel machen. "Because creativity is the driving force of economic growth, in terms of influence the Creative Class has become the dominant class in society." (FLORIDA 2002, S. xxvii) Nach Detroit fand erstmals der Sprung über die nahegelegene kanadische Grenze nach Toronto statt. Ein must-see ist das Martin Prosperity Institute (MPI) von Richard FLORIDA, der mit dem Konzept der creative class zu einer fixen Größe nicht nur im stadtgeographischen Diskurs wurde. Kevin STOLARICK, Research Director des MPI, erzählte kurzweilig die Entstehungsgeschichte und Neuauflage von "Rise", Richard FLORIDAs Bestseller The Rise of the Creative Class. Er stellte sich auch den zahlreichen kritischen Fragen der Exkursionsgruppe, sodass eine intensive und doch kurzweilige Diskussion stattfand.
doi:10.1553/moegg154s317 fatcat:uipoyn747rbgtddi2tgy3ex2c4