Intellektuelle Frauen im Exil: Azar Nafisi, May Witwit, Ahdaf Soueif
Patricia Plummer
2020
Das Konzept von Intellektualität ist seiner Entstehung im Kontext der westlichen Moderne und darin eingeschriebenen Vorstellungen von Aufklärung, Rationalität und Maskulinität verpflichtet, mithin gegendert. Intellektuelle Frauen werden in der öffentlichen Wahrnehmung noch immer keinesfalls als Regelfall und bestenfalls als Abweichung von einer männlichen Norm betrachtet. Weibliche, gar feministische Intellektuelle, sind -wie Barbara Vinken am Beispiel der schreibenden Frauen eindrücklich
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... -"angstbesetzt, und zwar mit wachsender Gleichstellung bei Männern und Frauen gleichermaßen" (Vinken 2010: 4). 1 Bis in die jüngste Zeit wird die landläufige Vorstellung von intellektuellen Frauen von einer fast vorhersagbaren Gruppe geprägt. 2 Eine Leerstelle scheint hier offenkundig zu sein, nämlich die weitgehende Abwesenheit von women of colour ebenso wie von Frauen aus nicht-westlichen Herkunftsländern. Insbesondere drängt sich die Frage auf, weshalb Frauen aus der islamischen Welt offensichtlich keine Berücksichtigung in der Rubrik 'intellektuelle Frauen' finden. Liegt es an tradierten orientalistischen Stereotypen, die die kulturelle Rückständigkeit der islamischen Welt postulieren und die Unterdrückung von Frauen in islamischen Gesellschaften als Ausdruck eines vormodernen Bewusstseins zum Kernargument erklären? Der (westliche) Topos der verschleierten Frau wird dabei häufig undifferenziert als Symbol der vermeintlich unterdrückten, unsichtbaren und dadurch im öffentlichen Raum stummen muslimischen Frau wahrgenommen (vgl. von Braun/Mathes 2007: bes. 12-31). Als solche markiert sie scheinbar eine größtmögliche Distanz zum westlichen Bild eines bzw. einer Intellektuellen, die sich "durch öffentliche Stellungnahmen in die politische Arena" einmischt (eig. Hervorhebung; ZiF 2014). Wie können sich Frauen aus nicht-westlichen Herkunftsländern als Denkerinnen artikulieren, um auch im Westen Beachtung zu finden? Sie können dies offenkundig nur innerhalb westlicher Diskurse, Medien und Sprachen und geraten damit in eine double-bind-Situation: Sie werden unter den Vorzeichen ihrer Herkunftsländer wahrgenommen, müssen sich gegen eine potentielle Vereinnahmung als Zeugin wider ihre Herkunftskultur ebenso abgrenzen wie gegen die ihnen zugedachte Rolle als 'authentische' Stimme ihres Heimatlandes. Joumana Haddad, die polyglotte libanesische Intellektuelle, Schriftstellerin, Übersetzerin, Journalistin, Verlegerin, Filmemacherin und Menschenrechtsaktivistin, 2014 unter die einflussreichsten 100 arabischen Frauen gewählt, 3 konfrontiert in I Killed Scheherazade: Confessions of an Angry Arab Woman (2010) eben diesen double bind: Das Navigieren zwischen tradierten Weiblichkeitsentwürfen der Herkunftskultur und
doi:10.4119/izgonzeit-3579
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