Individuelle Supervision – Unterstützung bei schwierigen Patienten

2013 PrimaryCare  
Individuelle Supervision -Unterstützung bei schwierigen Patienten Workshop an der «Swiss Family Docs Conference» 2012 in Lausanne Ein Arzt für Allgemeinmedizin -aber natürlich ebenso jeder Facharzt -findet sich im Rahmen einer Konsultation manchmal «schwierigen Patienten» gegenüber; solchen, bei denen man seufzend auf den Te rminkalender schielt. Vielleicht handelt es sich aber nicht nur um einen schwierigen Patienten, sondern auch um eine schwierige Arzt-Patienten-Beziehung. Bei schwierigen
more » ... iehungen kommen immer auch die emotionalen Erfahrungen, die Kompetenzen und die Energie des Arztes selbst ins Spiel. Er kann erschöpft werden, aggressives oder unpassendes Verhalten gegenüber dem Patienten an den Ta g legen oder an Selbstvertrauen einbüssen, was sich wiederum negativ auf die ohnehin schwierige Situation und somit auf die beiden Akteure -Patient und Arzt -auswirken kann. Die verheerenden Auswirkungen, die ein Erschöpfungszustand auf die Gesundheit des Arztes haben kann, sind bekannt: Burn-out, Medikamenten-oder Alkoholmissbrauch oder gar erhöhtes Selbstmordrisiko. Auch für den Patienten hat dies Folgen: Symmetrie der Beziehung zum Arzt, Vertrauensverlust, Verlust des Plazeboeffekts, gehäufter Wunsch nach ärztlichen Untersuchungen oder Medizintourismus mit den all seinen enttäuschenden Erfahrungen. Folglich ist es für den Arzt unerlässlich, solche schwierigen Beziehungen zu erkennen, deren Ursachen auszumachen, zu wissen, wie er Abhilfe schaffen und nötigenfalls Unterstützung bekommen kann. Was versteht man unter einem «schwierigen Patienten»? Kommt er im Rahmen der alltäglichen Konsultationen häufig vor? Die schwierigen Patienten machen etwa 15% aller Konsultationen aus [1]. Darunter leidet ungefähr ein Drittel an einer Persönlichkeitsstörung, die meisten davon vom Borderline-Typ [2]. Borderline-Patienten stellen 6% der allgemeinmedizinischen Konsultationen sowie 50% aller unter chronischen Schmerzen leidenden Patienten dar [3]. Michael Balint war einer der ersten Autoren, welche die Bedeutung der Arzt-Patienten-Beziehung in der medizinischen Behandlung untersuchten. In seinem Buch «Der Arzt, sein Patient und die Krankheit» stellt er die Frage, aus welchem Grund die Beziehung zwischen Arzt und Patient -trotz allen beiderseitigen Bemühensallzu oft nicht zufriedenstellend oder gar unglücklich ist. Wie Balint sind auch wir der Ansicht, dass es von grundlegender Bedeutung ist, sich mit dem Verhältnis Arzt-Patient zu beschäftigen, um schlecht funktionierende Beziehungen zu verstehen und zu verbessern. Denn um einen heilenden Effekt zu bewirken, muss diese Beziehung gut sein. Um bessere Beziehungen herstellen und die Schwierigkeiten analysieren zu können, die ein bestimmter Arzt mit einem bestimmten Patienten hat -üblicherweise erfahren wir nicht alle die gleichen Schwierigkeiten mit ähnlichen Patienten, da unsere eigene Persönlichkeit auch eine Rolle spielt -, schlägt Balint Supervisionsgruppen in Zusammenarbeit mit einem Psychiater vor. Dabei geht es um eine gemeinsame Erörterung der Schwierigkeiten und um mögliche Lösungsansätze. Die Vorteile einer Supervision Eine weitere Antwort auf das Problem kann eine individuelle Supervision sein, die unmittelbar zwischen einem Hausarzt und einem Psychiater stattfindet. Beim Workshop im Rahmen der «Swiss Family Docs Conference» 2012 in Lausanne waren die Vorteile einer derartigen Supervision zentrales Thema. Die Beziehung Arzt-Patient steht bei einer Supervision im Mittelpunkt; sie ist deren Ausgangspunkt und Zweck. Arzt und Psychiater streben gemeinsam danach, die Vielschichtigkeit der Beziehung zu verstehen, die Ursachen allfälliger Schwierigkeiten auszumachen, Probleme zu erkennen und mit allem Konfliktträchtigen zurande zu kommen. Der Vorteil einer individuellen Supervision zwischen Hausarzt und Psychiater liegt in der Vielzahl unterschiedlicher Herangehensweisen bei gleichzeitiger persönlicher Anpassung an die spezifischen Bedürfnisse des Arztes mittels einer genauen Analyse seiner Beziehung zum Patienten. Ausserdem ist es möglich, die Auswirkungen der Beziehungsarbeit dank einer regelmässigen Nachbetreuung und Katamnese der untersuchten Fälle zu bewerten. Bei einer solchen Supervision können drei Ziele definiert werden: die Kontextualisierung der Arbeit des Arztes. das Erkennen von «toten Winkeln» in der Beziehung und theoretische Erklärungen über Persönlichkeitsstörungen oder andere psychische Störungen. Kontextualisierung Kontextualisierung bedeutet, das Verhältnis zum Patienten und allfällige Schwierigkeiten im Zusammenhang zu sehen, sei es in Bezug auf den klinischen, relationalen, versicherungstechnischen, lokalen, rechtlichen oder familiären Kontext. Um dem Psychiater ein Bild der Lage zu geben, beschreibt der Arzt zuerst die allgemeine klinische Situation, um so die neutrale Meinung eines Aussenstehenden zu erhalten. Des Weiteren können dabei allfällige Triangulierungen, Manipulierungen oder ein Überschreiten des ärztlichen Mandats erkannt werden. All dies kann aggressives oder defensives Verhalten des Arztes verstärken. Ziel ist es, die Rolle des Arztes im Kontext der Behandlung zu definieren, Unklarheiten zu beseitigen und so deutlich zu machen, was die Behandlung erreichen kann und was ausserhalb des Bereichs des Möglichen liegt. Diese Klarstellung der Rolle des Arztes im Kontext baut oft unrealistische Erwartungen ab und beugt so Gefühlen der beiderseitigen Frustrierung vor. Auch durch eine kleine Änderung der Haltung des Arztes kann also eine deutliche Entschärfung einer Konfliktsituation erreicht werden. To ter Winkel Darunter sind die verwundbaren Stellen zu verstehen, die wir -bewusst oder unbewusst -abschirmen wollen. Auch das, was wir aus tief in unserem Inneren verankerten Gründen verdrängen und was
doi:10.4414/pc-d.2013.00250 fatcat:fpvjty3ffbcczifni34t7pb42y