Lehrbuch der Psychiatrie
August Cramer, Alexander Westphal, Alfred Hoche, Robert Wollenberg, Universitätsbibliothek Der FU Berlin, Otto Binswanger, Ernst Siemerling
2020
Vorwort zur IL Auflage. Bei der Bearbeitung dieser II. Auflage waren die Herausgeber und ihre Herren Mitarbeiter bestrebt, durch Verbesserungen und Zusätze die Brauchbarkeit des Buches zu erhöhen. Neu hinzugefügt ist der Abschnitt über die forensische Psychiatrie. Die Vervollständigung des Sachregisters erschien notwendig, um die einzelnen Abschnitte des Lehrbuches in engere Fühlung zueinander zu bringen. Die Herausgeber. Vorwort zur Il. Auflage. Auch bei dieser III. Auflage ist die
more »
... kriptive Aufteilung und Bearbeitung der Geistesstörungen beibehalten worden. Dabei ist in den einzelnen Abschnitten den Fortschritten der ätio-Jlogisch-klinischen und pathologisch-anatomischen Forderung ausgiebig Rechnung getragen worden. Die Herausgeber. punkt der psychischen Reihe ist also eine Empfindung, an welche sich. eine Reihe von Vorstellungen angliedert. A.Intensitätsstörungen., Aufhebungen oder Herabsetzungen {} O0. BINSWANGER, So machte einer unserer Kranken einen tätlichen Angriff auf einen ihm völlig fernstehenden Herrn, weil er denselben beschuldigte, daß er ihm (dem Kranken) eine Elektrisiermaschine in den Leib praktiziert habe, welche unaufhörlich darin "herumrumore'*, Die kinästhetischen Halluzinationen (Bewegungshalluzinationen) üben einen entscheidenden Einfluß auf die Körperhaltung und die Willkürbewegungen der Kranken aus und sind verhältnismäßig oft der Grund eigenartiger Zwangsstellungen und monotoner Abwehrbewegungen. "Treten sie im Gebiete der Lippen-, Zungen-, Gaumen-und Kehlkopfmuskulatur (Sprechbewegungsempfindungen) auf, so sagen die Kranken, daß ihnen die Zunge aus dem Munde gezerrt würde, oder daß sie bestimmte Gedanken oder Worte in ihrem Munde fühlten. Als zusammengesetzte Halluzinationen bezeichnet man die Vereinigung der Halluzinationen mehrerer Sinnesgebiete zur Vortäuschung eines realen Objektes. Am häufigsten ist die Vereinigung von Visionen und Phonemen. So berichtete ein Kranker: "Die Lichtgestalt Gottes in weißem Gewande, mit wallendem Barte und goldener Krone erschien mir auf einem Apfelbaume in meinem Hausgarten und rief mir laut und deutlich zu: »Wilhelm, wanke nicht !«" Eine seltenere Form der Erinnerungsfälschung oder richtiger HErinnerungstäuschung (SANDER), Welche übrigens mit Vorgängen im gesunden Leben (bei geistiger Ermüdung) enge Beziehungen hat, ist die hauptsächlich bei Epileptikern und Alkoholisten zu beobachtende "identifizierende'. Sie wird auch als Empfindungsspiegelung bezeichnet. Nicht bloß Teilbestandteile von Erlebnissen, sondern ihre Gesamtheit mit allen Einzelheiten, wobei die eigene Persönlichkeit gewöhnlich den Mittelpunkt des Geschehnisses darstellt, rufen die Vorstellung hervor, die gleiche Situation schon einmal erlebt zu haben. Meist schwindet diese Vorstellung, welche auf einer eigenartigen Störung des Wiedererkennens beruht, nach wenigen A 1 Allgemeine Symptomatologie der Geisteskrankheiten,. 23 intellektuellen Prozesse kaum zu unterscheiden, ob es sich nur um Hemmungs-oder um Ausfallserscheinungen (Schwachsinn) handelt. Der Gesichtsausdruck ist stumpf, gleichgültig; Aüchtige, an Intensität und Qualität wechselnde Affekte beleben noch hie und da die Szene und führen zu abortiven Ausdrucksbewegungen. Treten interkurrente Erregungsphasen auf, so läßt sich sowohl aus dem sprachlichen Ausdruck, als auch aus den Handlungen der Kranken die Dissoziation der Vorstellungen erkennen (vgl. Amentia). Der sekundäre Stupor wird vornehmlich als Begleit-und Folgeerscheinung psychischer Depressionszustände (Melancholia passiva, attonita) beobachtet. Die weitgehendsten sekundären Denkhemmungen werden durch emotionellen Shock (vgl. die Schreckpsychosen), sowie durch paroxystische negative Affekterregungen (Angstaffekt bei ausgebildeter Melancholie) ausgelöst. Als Pseudostupor (C. WzsTtPHAL) bezeichnet man eine andere Form des sekundären Stupors, welche meist durch katatonische Spannungszustände ausgezeichnet ist; hier sind affekterfüllte Wahnideen und Halluzinationen die zugrunde liegenden Störungen. Die psychologische Auffassung, welche hier zugrunde gelegt ist, geht von der Voraussetzung aus, daß die elementaren psychischen Bedingungen, welche den Vorgang des Aufmerkens beherrschen, sich vollständig in die für den Ablauf der Ideenassoziation gültigen Gesetze einreihen lassen. Die Aufmerksamkeit ist bei dieser Betrachtungsweise keine besondere Tätigkeit, sondern bleibt vollständig im Rahmen der Ideenassoziation. Kine andere Lehre, die Apperzeptionspsychologie (WUNnDT) stellt die Aufmerksamkeit über die Ideenassoziation; sie betrachtet sie als ein besonderes, selbständiges Seelenvermögen, als eine "innere Willenstätigkeit". KRAEPELIN, dessen allgemeine Psychiatrie auf der Apperzeptionspsychologie aufgebaut ist, unterscheidet folgende Störungen der Aufmerksamkeit: A. Die Abstumpfung der Aufmerksamkeit, welche bei der allgemeinen Herabsetzung der psychischen Ansprechbarkeit, also vornehmlich in den fortschreitenden Verblödungszuständen, zutage tritt. B. Die Sperrung der Aufmerksamkeit, bei welcher die Kranken (z. B. bei der Dementia praecox) sehr wohl imstande sind, Sinneseindrücke wahrzunehmen, sich aber "unwillkürlich gegen jede Beeinflussung ihres Denkens und Handelns durch diese Wahrnehmungen sträuben". C. Die Hemmung der Aufmerksamkeit, bei welcher "der innere Widerhall fehlt, der die Verknüpfung der äußeren Eindrücke mit dem eigenen Erfahrungsschatz herstellt und dadurch die auswählende Tätigkeit der Aufmerksamkeit anregt".
doi:10.17169/refubium-28814
fatcat:hfuuraimu5c6raam2hzr546s6q