Plebiszite in der Zustimmungsdiktatur – Die nationalsozialistischen Volksabstimmungen 1933, 1934 und 1938: das Beispiel Schleswig-Holstein [chapter]

Frank Omland
2010 Jahrbuch für direkte Demokratie 2009  
Was tun Menschen, wenn sie in einer Diktatur wählen müssen? Warum und wozu inszeniert ein Regime Wahlen, wenn es den Menschen keine Wahl lassen will? Wie bewerten die Machthaber und deren verfolgte Gegner die Ergebnisse von unfreien Abstimmungen? Und lassen sich aus den Wahlergebnissen Rückschlüsse auf die Verfasstheit der Gesellschaft in einer Diktatur ziehen? 1 Das sind Fragen, die in einem "Jahrbuch für direkte Demokratie" fehl am Platze zu sein scheinen, denn Wahlen und Diktatur schließen
more » ... ch per se aus und der Erkenntnisgewinn von unfreien Wahlen für die Erforschung der Praxis von Elementen der direkten Demokratie ist vordergründig eher gering. Wieso also ein Beitrag zu den nationalsozialistischen Volksabstimmungen in diesem Jahrbuch? Ein Teil der Antwort besteht darin, dass anfangs auch in der NS-Diktatur die Wahlberechtigten noch eine Wahl hatten. Da das Regime mit den Abstimmungen innen-und außenpolitische Legitimationsziele verband, konnten diese nur erreicht werden, indem zumindest noch 1933 und 1934 bestimmte Standards von "freien" Wahlen eingehalten wurden. Erst in Folge der Konsolidierung der NS-Herrschaft traten die diktatorischen Züge des Regimes so sehr in den Vordergrund, dass eine angebliche Handlungsfreiheit der Wahlberechtigten bei den Abstimmungen in der Praxis vollständig ad absurdum geführt wurde und endgültig von Wahlen ohne Wahl gesprochen werden kann. Damit stellten die Abstimmungen in der Diktatur auch immer ein Problem für die Herrschenden dar, denn die Nationalsozialisten glaubten an die Entstehung der "Volksgemeinschaft", an die Einheit von Führer und Geführten. Dies bedeutete zwangsläufig, dass alle Wahlberechtigten mehr oder minder freiwillig für das Regime stimmen würden, was im Umkehrschluss wiederum als Beleg für die Werdung der Volksgemeinschaft gewertet werden konnte. Wenn "Volk und Führer eins!" 2 waren, konnte es innerhalb dieser Logik gar nicht zu Abweichungen kommen. Dementsprechend irritierend und im Kern tatsächlich nicht verstehbar war für die Machthaber oppositionelles und widerständiges Handeln bei den Volksabstimmungen und Reichstagswahlen. Es stellt sich damit die provozierende Frage, ob Abstimmungen in Diktaturen nicht zwangsläufig immer mehr zur De-Legitimierung denn zur Legitimierung des 1 Vgl. dazu R. Jessen/H. Richter, Internationale historische Konferenz. Wahlen in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts/Elections under 20th Century Dictatorships. Historisches Seminar der Uni-
doi:10.5771/9783845223339-131 fatcat:yrc3fkcfjzgyxfpnxh6ujcrnz4