Die Grenzen des »Volkskörpers«: Interrelationen zwischen »Rasse«, Raum und Geschlecht in NS-Geopolitik und Kunst

Claudia Bruns
2015 Feministische Studien  
Raum-und Grenzkonstruktionen sind wesentlich für die Formierung von Kollektiven. Aber auch umgekehrt gilt, dass »alle Sinn-und Selbstbildungen einen topologischen Aspekt« aufweisen (Waldenfels 2007, 73). Dies trifft auch auf die Herausbildung des nationalsozialistischen Kollektivs zu. Während territoriale Grenzdiskurse im deutschsprachigen Kontext bisher weitgehend getrennt von geschlechtlichen und rassistischen Differenzkonstruktionen untersucht worden sind, soll hier der Versuch unternommen
more » ... rden, die verschiedenen Grenzziehungsprozesse in ihrer wechselseitigen Verwobenheit am Beispiel geopolitischer und künstlerischer Diskurse des Nationalsozialismus zu analysieren. Die Gendertheoretikerin Judith Butler hat bereits Mitte der 1990er Jahre selbstkritisch eingeräumt, in ihren Arbeiten zunächst dem »sozialen Geschlecht als dem identifikatorischen Ort der politischen Mobilisierung den Vorrang gegeben« zu haben »auf Kosten der Rasse [...], der Klasse oder der geopolitischen Positioniertheit / Verschiebung« (Butler 1994, 134). Zwar sind inzwischen die komplexen Relationen zwischen Rassismus und Sexismus stärker in den Fokus der Intersektionalitätsforschung gerückt, andere Differenzkategorien, wie etwa die des Raumes, wurden bisher jedoch selten einbezogen. In der Historiographie zu Europas territorialen Grenzen finden sich kaum geschlechtergeschichtliche Perspektiven. 1 Dabei könnte gerade der Blick auf das Zusammenspiel zwischen territorialen und anderen symbolischen Grenzziehungen das Verständnis für die Formierungsprozesse des nationalsozialistischen Kollektiv(körper)s und seiner In-und Exklusions-, Expansions-und Abschottungsdynamiken vertiefen. 1 Während die Verwobenheit der Kategorien von Raum und Geschlecht in den letzten Jahren allmählich in den Blick der Forschung verschiedener Disziplinen rückte (vgl. zuletzt etwa die Forschungsergebnisse des Graduiertenkollegs »Dynamiken von Raum und Geschlecht«: Foerschler / Habermas / Roßbach 2014; Wastl-Walter 2010; Strüver 2008), ist die Einbeziehung von Geschlecht als Analysekategorie im Kontext europäischer Border Studies bisher ein Forschungsdesiderat geblieben -im Unterschied zu den Arbeiten, die es seit den 1970er Jahren zur Grenzforschung im anglo-amerikanischen Kontext gibt. (Vgl. Altink / Weedon 2010; Castañeda / Hart / Weathermon / Armitage 2007; Massey 1994; Anzaldúa 2012 [1987]) Eine der wenigen Analysen der geschlechtlichen Codierung der europäischen Außengrenze findet sich bei: Reichert 2011. Postkolonial inspirierte Analysen europäischer Identitätsformationen haben hingegen schon früh geschlechtsspezifische Perspektiven integriert, meist im Kontext europäischer Kolonialgeschichte, kritischer Okzidentalismusforschung oder vereinzelt auch in Studien zur Europa-Allegorie (insbesondere durch Almut Renger und Luisa Passerini) oder zur Migration. Vgl. etwa: Todorova 2009; Wolff 2004.
doi:10.1515/fs-2015-0204 fatcat:vmtzzh3w3fcwvgmsg4stklzc2e