Die Tagebücher und Tagzettel des Kardinals Ernst Adalbert von Harrach
[chapter]
Alessandro Catalano, Josef Pauser, Martin Scheutz, Thomas Winkelbauer
2004
Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.-18. Jahrhundert)
Obwohl in den letzten Jahren Studien über den Adel einen deutlichen Aufschwung genommen haben, sind viele Aspekte des höfischen Lebens bislang unbeachtet geblieben, und viele Mythen und Vereinfachungen müssen in Frage gestellt werden. Sicherlich unterbewertet scheint die große Bedeutung des weitläufigen Informationsnetzes, das nahezu die gesamte Aristokratie im 17. Jahrhundert umspannte; denn nicht selten hingen zukünftige Karrierechancen von einem schnellen, informellen Nachrichtenaustausch
more »
... 1 Es verwundert deshalb nicht, daß Kardinal und Erzbischof Ernst Adalbert von Harrach (1598-1667) auch im "Prager Exil" persönliche Kontakte mittels eines ausgeklügelten Systems eines Gedankenaustausches zwischen Prag, Wien und Rom aufrecht erhielt. 2 Im Fall des Kardinals sollte seine "Auswanderung" nach Prag mit der Zeit zum definitiven Aufenthaltsort werden. Nachdem er die ersten Jahre seines Aufenthalts in Prag als Phase großer Euphorie erlebte, sollten sich jedoch die ständigen Auseinandersetzungen mit den Jesuiten (vor allem um die Kontrolle über die Prager Universität) bald als eine schwere Behinderung für seine Karriere erweisen. Der fehlende tägliche Kontakt mit dem Hof stellte sich unter diesem Gesichtspunkt als extrem negativ heraus: Vom ersten Augenblick seiner Ankunft in Prag an war Harrach ungeduldig wegen dieses doppelten Gefühls einer "Absenz" -sowohl vom Wiener als auch vom römischen Hof. Die äußerst umfangreiche Korrespondenz Harrachs läßt sich auch als Versuch interpretieren, persönliche Kontakte sowie den Einfluß auf den Hof mit anderen Mitteln aufrechtzuerhalten. Der Kardinal war im übrigen nicht der einzige "Graphomane" seiner Familie; im Falle der Familie Harrach können aufgrund der enormen Fülle an erhaltenen Autographen und an verschiedenen Texten einige grundsätzliche Überlegungen über den Sinn eines derart zeit-und arbeitsintensiven Unternehmens angestellt werden. Die enorme Menge der italienischsprachigen Materialien scheint bislang ein Hindernis für die Beschäftigung mit dieser Familie dargestellt zu haben. Im Familienarchiv Harrach haben sich, abgesehen von verschiedenen Jahrgängen der Tagzettel von Brüdern und Neffen, auch verschiedene Versionen des "Tagebuchs" von Ernst Adalbert von Harrach erhalten, die zum Teil auf Deutsch und zum Teil auf Italienisch abgefaßt sind. Die sogenannten Harrach-Tagebücher sind der Forschung bereits lange bekannt und wurden zum Beispiel schon am Ende des 19. Jahrhunderts und werden noch bis heute manchmal als Quelle für bestimmte Präzedenzstreitigkeiten herangezogen. Die Serie ist sehr umfangreich, auf Italienisch haben sich im Zeitraum von 1630-1640 (nur 1633 fehlt) alle Jahrgänge des "traditionellen" Tagebuchs erhalten, 1640-1644 eine Variante, die eine kopiale Überlieferung der Korrespondenz darstellt. Für die Jahre 1644-1655, 1657, 1663, 1665 und 1667 liegen die sogenannten "Tagzettel" vor. Auf Deutsch haben sich 1 AGO (1990) 81-85. 2 Zur Biographie Harrachs siehe vor allem HARRACH (1906), die alte Monographie von KRÁSL (1886) und die kurze Skizze bei CATALANO (2002); seine bedeutende Rolle für die Gegenreformation in Böhmen wird bei CATALANO (2001) näher erläutert.
doi:10.7767/boehlau.9783205160199.781
fatcat:yixhfmajxremfng5vliwt2oodu