Jürgen Gottschlich, Beihilfe zum Völkermord. Deutschlands Rolle bei der Vernichtung der Armenier, Berlin: Links 2015, 343 S., EUR 19,90 [ISBN 978-3-86153-817-2]
Rolf Hosfeld
2016
Militärgeschichtliche Zeitschrift
Jürgen Gottschlichs Buch »Beihilfe zum Völkermord« ist eine Mischung aus gelungener und lesenswerter Reisereportage und zugespitzter, aber hinterfragbarer historischer Thesenbildung. Kann man seriöserweise von »Beihilfe« sprechen? Gottschlich meint, dafür entscheidende Argumente vortragen zu können. Die Fallbeispiele, die er nennt, sind allerdings seit langer Zeit, spätestens seit Vahakn N. Dadrians »German Responsibility in the Armenian Genocide« von 1996, bekannt. Gottschlich fügt dem nichts
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... eues hinzu. Einige Offiziere waren aktiv in antiarmenische Aktivitäten involviert, so insbesondere Oberstleutnant (und nicht, wie Gottschlich schreibt, Oberleutnant) Böttrich, der eigenhändig und unautorisiert einen Deportationsbefehl im Bewusstsein der tödlichen Folgen unterzeichnete. Von dem Marineattaché Hans Humann schließlich stammt die Äußerung, die Vernichtung der Armenier sei »hart, aber nützlich«. Ähnlich äußerten sich der deutsche Generalstabschef im türkischen Großen Hauptquartier, Fritz Bronsart von Schellendorf, und die Admirale Souchon und Usedom. All das sind Beispiele eines sozialdarwinistisch infizierten militaristischen Extremismus, dem jede ethischen Maßstäbe abhandengekommen waren. Aber reichen diese Handvoll Individuen aus, um Deutschlands Rolle bei der Vernichtung der Armenier als »Beihilfe zum Völkermord« zu beschreiben? Donald Bloxham und Isabel Hull haben schon vor Jahren darauf verwiesen, dass es sich hier um zeitlich und von der Intention her völlig unterschiedlich gelagerte Fälle handelt. Es gibt zwischen diesen Individuen auch keinen nachweisbaren Zusammenhang, der sie als agierende Gruppe ausweisen könnte. Um dennoch einen entsprechenden Kontext zu konstruieren, muss Gottschlich die Machtverhältnisse im Osmanischen Reich in der Tradition gewisser älterer Imperialismustheorien als die einer deutschen Halbkolonie darstellen, was nach heutiger Forschungslage nie der Fall war. Ein Hauptmotiv des Kriegseintritts war für die Jungtürken, alle ausländischen Einflüsse ein für alle Mal loszuwerden, und neue deutsche nicht erst zuzulassen. Der osmanische Kriegseintritt, so der kanadische Historiker Ulrich Trumpener, beruhte auf klar kalkulierten Eigeninteressen. Für die Jungtürken war damit das Ziel verbunden, die »orientalische Frage« endgültig zu lösen. Zudem herrschte in Konstantinopel seit 1913 eine radikalnationalistische Einparteiendiktatur, etwas, das Zentraleuropa erst in den 1920er und 1930er MGZ 75/1 (2016): 245-248 OLDENBOURG MGZ,
doi:10.1515/mgzs-2016-0041
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