Ein amerikanischer Arzt über Deutschland

G. Mamlock
1915 Deutsche Medizinische Wochenschrift  
Connell ging ini Novinber mit einigen anderen Chiriirgeii nach Paris, wo er in der amerikanischen Anibiilanz tatig war. Von dort kam or nach Soissons und machte dann cilic mehrmonatige Rcise durch Deutschland, Ossteireicim timid Ungarn, um auch hier die Lazatette kennen zu leinen und dic wirtschaftliche imiid soziale Lage zu studieren. Seine Beobachtungen und Eindrucke veroffenti ieht der . , New York Herald'. Die nachfolgende Uebersetzung ist. nicht nur deshalb gerechtfertigt, uni unsere
more » ... tnisse im Spiegel des Auslandes zu sehen. sondern auch mnitRmicksicht auf de' Tatsache, dsß bei uns ici cntgegenkonimm'iidster Weise auslandisehe Aerzte Betatigungsireiheit haben. J)enn wenn wir auch ganz gewiß auf dein (ehiete des Sanitätswesens nichts zu ver-bLrgen haben und wenn gerade die i'itliche Versorgung der (efangcnen besonders geeignet sein dhrftc, Deutschlands wissenschaftliche 1111(1 ethische Hohe ins hellste Licht zu stellen, so cltirfte sich vielleieht doch größte Vorsieht bei der Zulassung fremder Aerzte empfehlen. Ganz abgesehen davon, daß wir z. B. mit Italien sozusagen die Schlange an unserem Busen genhrt haben und italienische Aerzte nunmehr in "sacro egoisflIo" alles bei uns Gesehene gegen uns verwerten werden. Aber auch bei Amerikanern sollten wir tunlichst zuruckhalteiid sein, Zwar verstehen wir, daß sie es interessiert zu sehen, welche Wirkung die von Amerika (aus Neutralitiitsgrunden!) an unsere Feinde gelieferte Itíimnitiont) bei unseren Soldaten tut, aber man weiß nicht, iii welchem Sinne sie ihre Beobachtungen nachher in der heínmatlïehen Presse verwerten. Ihr Urteil wird jenseits des großen Teiches als besonders kornpotent angesehen warden, und es kann uns nicht gleirbgimltig scm, wenn Leflte, die offenbar so "Entente"-freurtdlich sifld wie Kollege (jon mmcli, (Iruhen Stirn niungabilder Ober uns veröffentlichen. Coniiell liait nnilieh den Sieg der Entente fur sicher, v,enn er auch ganz außerordentliche Opfer vor unsren Gegnern fordern wird. 1)ie Tatsachen, auf (rund deren er zu seiner Auffassung koninit, sind zwar f tir uns durchaus anerkennend, aber wie (lie Yankee-Presse die Mitteilung dort "aufmnachen' wird, kann man sich nach allem, was wir bisher erfahren hmab'n, lebhaft vorstellen. Dr. (o rifle!! erklart von vornherein, clati clic deutsche Miii t a rmacht ebenso hitwunderns-wie furchtenswert ist, und sie kamin nicht etwa eins zwei drei2) niedergerungen werden Jedenfalls wrirde dies Ziel und an seine Erreichung glaubt Conneil zu einer völligen Ersehopfunga) der Verbiindeten fuhren. I)ie w i rtse.h aftl ich e Mach t Deutschlands ist ein nicht zu unterschtzender Faktor. Das Marchen von der Aus h tinge ru ng Deutschlands ist Unsinn! Selbst wenn eine ?4illcrntc eintreten sollte, hat Deutschland f mir. 7Wei Juhrc Lebensniittel; allerorts wird Land kultiviert, Privatgarten, Fahrikbtife und stellenweise sogar öffentliche Anlagen werden fOr landwirtschaftliche Zwecke ui'bar gemacht. Die Fabriken sind uherl,eschàftit, und die ArIJejt(r ',erdienen höhere Löhne als im Frieden. Vielfach niacht sieh der Krieg ilberhaupt nicht bemerkbar, und die Zustande sind durchaus miormal. Ejebem die aUge meine politische und strategische Lage ¡nmßert Dr. (Jonnell einige mnimnerhin beachtliche Ansichten. Wenn den Russen die Ueberschreitung der Karpathen und der Einfall in Un-1) Laut American Machinist" stellt clic Automatische Maschinenfabrik cleveland Ohio, vergif tete Granaten her. 2) over night. t) exhausting effect. tThIUTSCEE MEDIZINISCHE WOOHENSUfflUFT. 713 garmi iii (liii niu'hsttn Voehemi tiiclit gelingttm). wenb-mi sie zuruckgeschlagc'ii W(md(mi. t o n ne 1 1 hat ilatimit richtig piople-zeit. Bei dcii Karpathent.r(i111,(mi tiht ci sehr irle Emfri-mmimigemt, sodaß l-Itt tick mind F'u tie miniputiti t W(ldífl uiuiißtcii. l)ii oidatc-mi zeigten hola aileclemmi emite bcwundernsweite l-1 sltiittiz, mimic! mue imrte ( 'o n tie I I elms \'%Jort dem K lage. Em ruhmsit den Heroismuus der Vrauemi Oesterreichs timid Ungarns, (lie beim Tode ihrer Mammnem tmfl(l Söhne sich gefaßt. in ihr Geschick fügen. Ftmiehtbai wutet dem Typhus in Serbien; elije etwaige Vn-seuc-humig Eumopas von dort aus teilt er fui ausgeschlossen. Verlialtuisim1äßig wenig leiden die I{eere der Emiglander und Fran. rosin unter Km-ankhciten ; wenngleich d ureh verspatete Behandlung Wundimifektionen oft vorkomi2nn. Mit Rucksicht darauf ist die Zahl dr Aerzte g(-riflg 51m nennen, ein Mangel. der sich erst bei der großen mind voraussichtl ic-h sehr verlustreichemi Offensive zwischen M aas mind ros I Imemneik btu maclien wirri. Frankreich hat 400000 Krankenbetten bereit, wozu noch 120000 iler nghischeii Heeresleitung ini Norden von Paris kommen. Die amenkmsnischcn Aerzte mmcl Schwestern werden sehr anerkannt, in Frankreich sehnt man den Frieden herbei, wenn man ihn auch noch in weiter Ferne wahnt.. Vielfach glaubt man dort, der Ki-ieg werde jetzt erst i-iehtig amifangeim. Ebenso stark wie in Deutschland ist in Frankreich die Siegeszuversieht2); aher wenn auch die Ueberzeugung von dem sehlicßlschen Siege rlei Verbundeten besteht, so ist man sich doch klar daruber, daß man Deutschland allenfalls niederdriieken, aber niemals ('ndgiiltig besiegen kann. Großen Eindruck machte auf Council die Verwimndetenfum-sorge in Heidelberg. Namentlich die frühzeitige berufliche Beschaftigung Einarmniger (mit Stenogi-aphie und Schreibmaschine) hält er für zweckmutig. Er hebt die tm-effliche Behandlung der verwundeten Feinde hervor. Besonders kamemadschafthich sei man gegen die Franzosen, währemid em-überall einen tiefen Haß gegen England antraf. Angeblich emiuhm er in Berlin von Militärs, daß nicht so sehr eine Niederlage Frank-(-(ichs als clic Emiglands erstrebt werde. Er verzeichnet ausdrückliebt die Zuversicht, die ihns allerorts entgegentrat, England müsse an din Wand gedrückt weiden2), und er hörte die Hoffnung aussprechen. clati man in nicht alizuferner Zeit in London einziehen werde. Bio diesen Mitteilungen Connells fallt auf, daß von rein ärztlichen Dingen wellig die Recle ist. Das hat wahrscheinlich seinen Grund darin, daß dei-New York Herald diese Dinge, über die Connell wohl zweifels. ohm e mehr zu sagen weiß, nicht veroffentlicht. Sonst wäre natürlich zu viel Gutes aus l)eutschland zutage gekommen. It doch New York Herald cimas der deuteehfeinclhichsten Blä.ttei; und in einer besonderen Pariser Ausgabe wetteifert er nut der nirdmigsten Hetzprcsse der Boulevards. Ein Gmund nicht, den eingangs hervorgeliobenemi Gesichtepunkt im Auge zu behalten. Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
doi:10.1055/s-0029-1191195 fatcat:4imh6ypzcjdanalcxu3widfwjq