Politische Kleinbürgerlichkeit

Sabine Kudera
1988 Zeitschrift für Soziologie  
ZusammenfassungBei der exemplarischen Untersuchung von Berufsgruppen der unteren Mittelschicht (140 Personen aus 2 Kohorten) erwies sich der Begriff der Kleinbürgerlichkeit als unentbehrlich zur Charakterisierung der politischen Orientierungen eines relevanten Teils der Befragten. Sichtbar wurde ein Typus politischen Denkens, der weder dem von Angestellten, noch dem von Industriearbeitern entspricht, aber deutliche Verwandtschaft mit traditionell kleinbürgerlichen Orientierungen mit
more » ... den, konformitätsorientierten Zügen aufweist. Allerdings sind auch Unterschiede zu dem als typisch kleinbürgerlich geltenden faschistoiden Denken der Weimarer Zeit offenkundig. Angesichts der historischen Diskreditierung autoritärer Deutungsmuster ist kleinbürgerliches politisches Denken gegenwärtig offensichtlich eher auf subpolitischer Ebene, als kulturell definierte Abgrenzung gegenüber abweichenden gesellschaftlichen Gruppen zu identifizieren, was auf Entideologisierungs-, nicht aber Nivellierungstendenzen verweist. Die Untersuchung belegt allerdings auch die Heterogenität der politischen Orientierungen in der Befragtengnippe. So finden sich neben kleinbürgerlichen auch andere Typen politischer Orientierungen. Die gesellschaftliche Bedeutung traditionell kleinbürgerlichen Denkens, dieses retardierenden gesellschaftlichen Elements, darf dennoch nicht unterschätzt werden. Vermutlich ist es in anderen Bereichen, z. B. kleinstädtisch-ländlichen Regionen, stärker verbreitet als in dieser großstädtischen, beruflich gut integrierten Befragtengruppe; und es kann angesichts künftig evtl, zunehmender Abschließung sozialer Schichten keineswegs als historisch obsolet angesehen werden.
doi:10.1515/zfsoz-1988-0402 fatcat:7aa2mzm52fg33erwcm2vumaywm