Politischer Führungsanspruch auf schwindender Machtbasis: Frankreichs Europapolitik unter François Hollande
Joachim Schild
2013
IG
Seine Wahl habe die europäische Politik verändert und eine Neuorientierung eingeleitet, so der am 6. Mai 2012 gewählte französische Staatspräsident François Hollande. Die Zeit des einseitigen Setzens auf Haushaltskonsolidierung im Umgang mit der Eurokrise müsse ebenso ein Ende haben wie die Rolle Frankreichs als Juniorpartner Deutschlands. Seinen Wahlsieg interpretierte der Sozialist Hollande als Ausdruck eines weit über Frankreich hinaus reichenden Wunsches nach einem Politikwechsel in
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... einer europäischen Wachstumsstrategie, die die notwendige Haushaltskonsolidierung ergänzen und erleichtern müsse. 1 Wie gedenkt der neue Präsident diese hohen Ansprüche einzulösen und welche Erfolgsaussichten bestehen für eine Neuausrichtung europäischer Krisenbewältigungspolitik entlang französischer Prioritäten? Diese Fragen verweisen auf ein grundlegendes Spannungsfeld, in dem sich die französische Europapolitik immer bewegt hat, nämlich zwischen machtpolitischen Motiven und einem ausgeprägten europapolitischen Gestaltungs-und Führungswillen einerseits und begrenzten innerstaatlichen Handlungsressourcen wirtschaftlicher, finanzieller und politischer Natur andererseits. Dabei hat das Gewicht der Innenpolitik mit wachsender europäischer Integrationsdichte seit Anfang der 1990er Jahre deutlich zugenommen und europapolitische Handlungsspielräume der Exekutive tendenziell verengt, während die wirtschaftlichen Machtressourcen des Staates im letzten Jahrzehnt einen relativen Niedergang erlebt haben. 2 Um die Frage nach möglichen Wegen zur Einlösung des europapolitischen Führungs-und Gestaltungsanspruchs beantworten zu können, betrachtet dieser Beitrag zunächst die politischen und wirtschaftlichen Kontextbedingungen, im Rahmen derer der neue Präsident seine Europapolitik gestaltet. Im nächsten Schritt werden die nationalen Bemühungen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit und zur Haushaltskonsolidierung dargestellt. Diese sind unverzichtbar zur Rekonstruktion der Machtbasis einer aktiven europapolitischen Rolle Frankreichs, aber auch für ausgewogene und konstruktive deutsch-französische Beziehungen. Daran anschließend werden die bislang erkennbaren konzeptionellen Elemente zur Bewältigung der Eurozonenkrise und die politischen Strategien zur Durchset-* Prof. Dr. Joachim Schild, Lehrstuhl für vergleichende Regierungslehre, Universität Trier. Die Arbeit des Autors zu Fragen der Gouvernanz der Eurozone wird von der Europäischen Kommission im Rahmen einer Jean-Monnet-Aktion aus Mitteln des Programms für Lebenslanges Lernen (LLP) unterstützt. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung trägt allein der Verfasser; die Kommission haftet nicht für die weitere Verwendung der darin enthaltenen Angaben.
doi:10.5771/0720-5120-2013-1-3
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