Die europäische Verfassungskrise und die Strategie des 'langen Atems'
Daniel Göler, Mathias Jopp
2006
IG
Das Scheitern der Referenden in Frankreich und den Niederlanden über den Europäischen Verfassungsvertrag jährt sich demnächst -und immer noch zeichnet sich keine Lösung der derzeitigen Krise ab. Die von den Staats-und Regierungschefs im Juni 2005 ausgerufene Denkpause brachte zunächst wenig Konkretes und mutete -um ein im Europaparlament kursierendes Bonmot aufzugreifen -teilweise eher als 'Pause vom Denken' an. Seit der Vereinbarung über den europäischen Finanzrahmen im Dezember 2005 kommt
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... ch wieder Bewegung in die Diskussion. Dies wird nicht zuletzt daran deutlich, dass europäische Spitzenpolitiker vermehrt ihre unterschiedlichen Vorstellungen über mögliche Auswege aus der Krise skizzieren. 1 Systematisiert man die verschiedenen Lösungsvorschläge, kristallisieren sich im Wesentlichen vier 'Obergruppen' von Einzelvorschlägen heraus, die sich danach unterscheiden, ob sie den Verfassungsvertrag, den Vertrag von Nizza, beide gemeinsam oder aber Formen der flexiblen Integration als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen nehmen. 2 Kompliziert wird die Lage dadurch, dass die konkreten Vorschläge häufig eine Mischung aus verschiedenen Modellen darstellen und sich in Stellungnahmen derselben Personen divergierende Schwerpunktsetzungen wiederfinden. Deshalb wäre es wenig zweckmäßig, die Lösungsvorschläge nach bestimmten Vertretern zu ordnen. Stattdessen wird im Folgenden das Tableau an Optionen entsprechend den substantiellen Reformansätzen betrachtet, auch wenn diese Einzelvorschläge -abgesehen von den Initiativen, die sich für eine vollständige oder modifizierte Inkraftsetzung des Verfassungsvertrages aussprechen -in der aktuellen Debatte meist nicht isoliert vorgebracht, sondern mit den anderen Vorschlägen zu Maßnahmenbündeln kombiniert werden. Diese inhaltliche Systematisierung bietet den Vorteil, dass die Grundgedanken der einzelnen Lösungsansätze klarer hervortreten und sich auch deren Realisierungschancen und die mit ihnen zusammenhängenden Probleme besser aufzeigen lassen. Deutlich wird hierbei zum einen, dass jede Strategie zur Lösung der europäischen Verfassungskrise mit Risiken behaftet ist, zum anderen aber die Anzahl der 'Gleichungen mit mehreren Unbekannten' im Hinblick auf das erzielbare Ergebnis im Falle eines völlig neuen Reformanlaufs aller Wahrscheinlichkeit nach zunimmt.
doi:10.5771/0720-5120-2006-2-91
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