Zur Technik der Radikaloperation von Bauchnarben- und Nabelhernien

1904 Deutsche Medizinische Wochenschrift  
Bruchbildungen in Narben der Bauchwand haben mit der Häufung von Eingriffen an intraabdominellen Organen und am Peritoneum ein steigendes Interesse gewonnen. Die Chirurgen und Gynkologen, welche kraft der Sicherheit diagnostischer Kenntnisse und der Zuverlässigkeit operativer Eingriffe in den Stand gesetzt wurden, eine Unsumme von früher unheilbaren oder tödlichen Krankheiten durch ihre Kunst zu heilen, muf3ten erfahren, daf3 eine nicht unbeträchtliche Zahl von Personen in einen lästigen, oft
more » ... gar die Gesundheit schwer benachteiligenden Zustand versetzt wurden, weil der Bauchschnitt eine nachgiebige Stelle schuf, die dem Druck der Eingeweide nicht standhielt, schwache Punkte hinterließ, die Hernien verursachten, oder weil die absichtlich offen gelassene und durch Granulation zum Verschluß gebrachte Wunde von vornherein einen Defekt bildete, welcher naturgemäß, die Kontinuität der iuBeren Bedeckungen unterbrechend, denselben Effekt in noch vermehrtem Grade hatte. In beiden Fallen gesellt sich fast ausnahmslos eine Verwachsung der Intestina mit der Narbe zu dem ohnehin peinlichen Zustand und macht den Wunsch nach einem sicheren Verfahren der Beseitigung dieser unangenehmen Folgen an sich notwendiger ärztlicher Maf3nahmen nur um so dringender. Naturgemäß hat man sich vorerst bemüht, das Zustandekommen der Bauchnarbenbrüche zu verhüten. Bei denjenigen Fällen, in denen die primäre Naht der Wunde statthaft ist, hat eine exakte Vereinigung der durchtrennten Schichten in mehreren Etagen den Weg zum Erfolg geebnet, ohne indessen diesen absolut zu gewährleisten. Während bei nicht sehr großen Laparotomien, die ohne Eiterung zur Heilung gelangen, die Etagennaht kaum je versagt, ist dies bei größeren doch hin und wieder der Fall. Und bei den zur Eröffnung intraabdomineller Eiterung ausgeführten Leibsùhnitten ist das Ausbleiben einer Hernie geradezu eine Seltenheit. Namentlich die zahlreichen Operationen, welche wegen perityphlitischer Abszedierungen benötigt werden, stellen ein großes Kontingent derartiger Nachkrankheiten. Aber auch alle andern Eröffnungen der Bauchhöhle, die nur das Liegenlassen eines Saindons erforderlich machen, die nicht immer vermeidbaren Phlegmonen der Bauchdecken, die hin und wieder sich ereignenden Späteiterungen durch Catgut geben Gelegenheit zu denselben Konsequenzen. Wiss&n wir doch, daß jede Wunde in der Muskulatur des Leibes, auch ohne daf3 das Peritoneum selbst beriihrt wurde, sofern nur ein Substanzverlust damit verbunden ist, durch Bindegewebe ersetzt wird, welches dem Anprall der Eingeweide keinen Widerstand entgegensetzt, sodaß diese aus der Bauchhöhle herausschlüpfen können. Wenn nun auch auf diese Weise entstandene Hernien nur sehr selten die Gefahren des echten Bruches, die der Inkarzeration mit sich führen, so ist ihre Beseitigung nichtsdestoweniger durchaus wichtig und ein Gegenstand ernster Bemühungen der Chirurgen. Die mit ihnen behafteten Personen leiden an Störungen der Peristaltik, ertragen Schmerzen, haben dauernd ein Gefühl von Unsicherheit und Belästigung, sie fühlen sich um so unglücklicher, als der Prolaps von Därmen stetig zunimmt, sodaß ganz monströse Formen von Eventration gebildet werden, ihre Arbeitsfähigkeit wird verringert -sie sind zwar von schwerer Krankheit genesen, gewinnen aber nicht das Gefühl voller Gesundheit. Die verschiedenen Arten von Bandagen, die man konstruiert hat, erfüllen teils ihren Zweck nur mangelhaft, teils sind sie eine Quelle von Unbequemlichkeiten, sei es auch nur, weil sie durch die Kleidung sichtbar sind, die Toilette" genieren, oder weil es für junge Personen an sich widerwärtig ist, ihr Leben lang auf solche Dinge angewiesen zu sein. Oft genug wird schon allein die Entfernung einer häßlichen, pigmentierten, strahligen Narbe gewünscht. Die Methoden zur Radikaloperation von Narbenbauchbrüchen, die zumeist geübt werden, schließen sich ginzlich denjenigen an, die für Nabelhernien gültig sind: Exzision der Narbe, Entfernung des vorgestülpten Peritoneums, Lösung der Adhsionen, Anfrischung der Bruchränder, Etagennaht. Als wesentlichstes Moment zur Erzielung eines guten, dauerhaften Resultates hat sich ergeben, daß eine exakte Vereinigung der Aponeurosen und möglichste Bedeckung des ursprünglichen Defektes mit Muskulatur nötig ist. Deshalb hat man da, wo letztere fehlte, zu plastischen Verschiebungen von Muskeln, sei es aus dem Rectus abdominis [Bessel-Hagen (1), Salistscheff (2)], sei es vom Oberschenkel [Tschish (3)1, seine Zuflucht genommen und, wenn erstere nicht möglich war, durch zahlreiche ein Maschenwerk bildende Silberdrahtnähte [Witzel (4), Goepel (5) u. a.] oder durch Einpflanzung fertiger Netze aus dem gleichen Material eine feste Pelotte geschaffen. Dahingegen hat sich die freie Eröffnung des Bruchsackes und die Beseitigung der Darm-und Netzverwachsungen nicht nur als überflüssig erwiesen [Hammesfahr (6)], sondern König (7) betont sogar, daß man nach Möglichkeit vermeiden solle, die Bauchhöhle zu inzidieren. Das ist überaus wichtig; denn die Gefahren des Eingriffes sind natürlich außerordentlich verringert, wenn man extraperitoneal operieren kann, zumal bei grof3en Bauchnarbenhernien die weithin sich erstreckenden Adhtrenzen große Schwierigkeiten bereiten und ihre Entfernung durchaus nicht die Verhinderung einer Wiederbildung an der Stelle der neuen Peritonealnalit garantiert. Namentlich bei den seitlichen, nach Entleerung perityphlitischer Eiterungen zurückbleibenden Brüchen bilden die Dirme selbst nicht gar so selten nach ihrer Uebernarbung die einzige Verschlußschicht der äußeren Wunde, und ihre Ablösung bedeutet Herstellung großer blutender Darmflächen ohne Serosa, deren Uebernthung mit Peritoneum schon mit Rücksicht auf eventuelle Stenosenbildung nicht immer möglich ist. Aber auch die Muskelplastiken lassen sich, abgesehen davon, daß sie eine Erschwerung des Eingriffes bedeuten, nicht immer ausführen, und wenn sie entbehrlich erscheinen, wird man gewiß gern auf sie verzichten. Alle Bauchnarbenbrüche kommen nun so zustande, daß das von dem Peritoneum her bis zur äußeren Haut emporwuchernde Granulationsgewebe bei seiner narbigen Verkürzung das Bauchfell direkt mit der Haut verwachsen läßt. Durch die Retraktion der quer durchschnittenen Muskeln und ihrer Aponeurosen bei Schrägwunden des Bauches, durch die lebendige Kontraktion der Recti bei medianer Laparotomie entsteht eine mehr oder weniger breite Spalte, welche nach außen nur von Bindegewebe bedeckt ist und in welche durch den intraabdominellen Druck das Bauchfell vor-Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
doi:10.1055/s-0029-1187902 fatcat:ijom34ewpveidioc2mnpfoieve