Bundesdeutsches Arbeitsrecht in der ehemaligen DDR
Wolfgang Däubler
1992
Kritische Justiz
Art. 8 des Vertrages »über die Herstellung der Einheit Deutschlands«' trifft eine eindeutige Entscheidung : Mit dem Wirksamwerden des Beitritts, d. h. ab 3. '0. '990 tritt im Gebiet der ehemaligen DDR das gesamte Bundesrecht in Kraft. Anlage I sieht für eine Reihe von Vorschriften Modifikationen vor; die (sehr viel kJeinere) Anlage II nennt jene Bestimmungen des DDR-Rechts, die für einige Zeit oder unbefristet weitergehen. Eine Anlage III, die einzelne Teile des DDR-Rechts mit oder ohne
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... ungen auf die Bundesrepublik erstreckt hätte, existiert nicht. Eine Anlage IV, die insoweit einzelnen Normen des Bundesrechts die Weitere,ustenz garantiert hätte, war erst recht entbehrlich. Die Herstellung der Rechtseinheit war ein asymmetrischer Vorgang. Die Beseitigung des DDR-Rechts kennt kaum Parallelen . So galt Recht aus der Zeit des Faschismus der Jahre '933 bis 1945 weiter, sofern es mit dem Grundgesetz vereinbar war. 2 Auch die DDR hatte insoweit keinen totalen Trennungsstrich gezogen, allerdings ve'r1angt, daß die Normen des »bürgerlichen Gesetzgebers« durch ein Staatsorgan »sanktioniert«, d . b. für verfassungs konform befunden wurden; dies konnte nicht nur durch den Gesetzgeber, sondern z. B. auch durch eine gerichtliche Entscheidung erfolgen . J Auch im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich war man bei Grenzverschiebungen weniger radikal. In den linksrheinischen Gebieten galt der französische code civil bis 1900\ in Elsaß-Lothringen gelten noch heute zahlreiche Normen aus der Zeit vor '9,8 1 , nicht zuletzt auch im Arbeitsrecht 6 . Wenn man eine äußerliche Parallele sucht, findet man sie am ehesten in der pauschalen Ablösung des zaristischen Rechts nach der russischen Oktoberrevolution.l Inhalt-I Vom 31. 8. '990, BGBI. II, 889, im folgenden : Ei nigungsvemag. 2 Ar1..123GG. Einzelheiten und Nachweise bei Pfarr, Auslegungstheorie und Auslegungspraxis im Zi vil-und Arbeit s· rechl der DDR, Berlin '972, S. 35 ff. Vgl. Grimm RabtlsZ 50 ('986), 6" 69. Überblick bei Woehrling BWVBI. '983 ,386 sowie bei: Institut du droi, loeal «d.), Histoire du droit local, Ane, du Colloquc du '9 octobre '989, Strasbourg '990 (u. a. Grundbuchreclll, Prozeßrech" Jagdrech" Kommunale SelbslverwallUng). 6 Simon, Lc droitlocal du Ir .. ail applicable en Alsace-Moselle: Repos domini(.I, Garantie de Ressourees, Clause dt: non-co ncurrcnce, Duree du pre3vis, Strasbourg '990. S. weiter das zweisprachige Buch: In"i,u, du droit loeal (Hrsg.), Drolt du trlvail/ ArbeilSrccht, Refera,e zum Kolloquium vom '4 . Märt. '99' , Stras bourg '991. Dazu Kraushaar AuR '99', '45 . 7 Dekret über die Volksgerichtc vom 3°. 11. '918, in dem bestimmt war: _Bei der EnlScheidung von GerichlSsachfn wendet das Volksgericht die Dekrete der A rbeiter-lind Bauernregierung an, und im Fall des Fehlens eines cnt.<pr<chendcn DekretS oder seiner UnvollStändigkeil !;ißt es sich von dem S07.lalistischcn Rt'chtsbewußtst:ln leHen. Anmerkung: D~r Verweis in EmSl'hl'idungcn oder Urteilen aur die Gesetze gesturzter Regierungen ist verboten,lI, zilien nach Reich, Sozialismus und Zivilrecht, Fran kfurt/Main (972, S. 94 fi., 10J. , 22:54:42. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. lich ist der Vorgang völlig neuartig : Soweit ersichtlich, hat noch nie ein industrialisiertes Land pauschal die Rechtsordnung eines anderen übernommen. Die »parallele Welt. ist zusammengebrochen. Im Fo lgenden soll dieser Prozeß am Beispiel des Arbeitsrechts näher beschrieben werden. Wie sehen die verbliebenen Reste aus? Was geschah mit Kollektiv-und mit Arbeitsverträgen aus der Zeit vor der deutschen Einheit? (Dazu unten 11). Weiter ging es ja um mehr als einen Austausch von Rechtsordnungen. D er Systemwandel, die Ersetzung der »realsozialistischen« durch die bürgerlich-demokratische Ordnung erforderte eine Art Sonderrecht, um verbliebene HerrschaftSpositionen des »A ncien Regime« abzubauen. Dieses . Entsozialisierungsrecht « betraf das Eigentum, insbes. aber auch den öffentlichen Dienst und die Behandlung der Renten solcher Personen, denen eine besondere .Staarsnähe« unterstellt wurde (unten 111). Der .Export« des bundesdeutschen Rechts sah und sieht sich mit einer Reihe von Problemen konfrontiert . Würden nicht vernünftige Regelungen des alten Rechts die Unterstützung der Bevölkerung behalten, würde nicht die »Überstülpung« eines neuen zu Protest führen? Würde es möglich sein, in gleicher Weise wie in der alten Bundesrepublik Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Betriebsräte zu schaffen' Was bedeutet es für den einzelnen Bürger wie für Rechtsanwälte und Gerichte, von einem Tag auf den anderen mit einem völlig neuartigen Recht arbeiten zu müssen? (Unten IV). eben dieser rechtssoziologischen Perspektive interessiert das Funktionieren industri-eUer Beziehungen unter Krisenbedingungen. Im verarbeitenden Gewerbe sank die Nettoproduktion zwischen drittem Quartal '990 und drittem Quartal 199' um 40 Prozcnt,S seit der. Wende« ist ein Rückgang um rund zwei Drittel zu verzeichnen ' Über 30 Prozent der Erwerbstätigen sind ohne Beschäftigung. '0 Wie vollzieht sich Tarifpolitik unter solchen Bedingungen, die in der alten Bundesrepublik niemals aufgetreten waren? Entsteht auch in der Bundesrepublik eine Art Notstandsarbeitsrecht, ein .diritto dellavoro di emergeClza«, welche Formen der Staats intervention werden entwickelt? (Unten V). 11. Die Ausdehnung des bundesdeutschen Arbeitsrechts I. Die erste Etappe: Der Staatsvertrag vom 18. Mai 1990" Durch den Staarsvertrag .über die Schaffung einer Währungs-, Wirrschafts -und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR« wurde mit Wirkung vom 1.7. '990 das gesamte kollektive Arbeitsrecht der Bundesrepublik in die damals noch bestehende DDR übernommen . Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie, Arbeirskampfrecht, Betriebsverfassungsrecht und Unterneh.mensmitbestimmung galten von da an in gleicher Weise wie in der Bundesrepublik. Dazu kamen das Kündigungsschutzgesetz sowie die für Arbeiter geltenden Kündigungsfristen, die in der DDR auf alle Arbeitnehmer erstreckt wurden. Zugrunde lag die berechtigte Überlegung, daß die frühere arbeitsrechtliche Ordnung mit ihrer zentralistischen Grundstruktur und der Garantie des Rechts auf Arbeit" für die neuen marktwirt-8 BispinckIWSI-Tarifarchiv WSI -Mirt. 1991,12 1. 9 Kromphardt/Bruno-LlCocha GMH 199 1 , 7H· 10 Zahlenangaben umen V I . " 8GBI. 11, 537. 12 Dazu etwa Kunz. WSrMin. 1990, JOS fL ; der.s ., Des Menschen Recht ;auf Arbeit, Bcrlin 1989. Zu dem https://doi.
doi:10.5771/0023-4834-1992-3-259
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