Die Strukturanalyse als klinisches Forschungsprinzip

Karl Birnbaum
1920 Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie  
Kraepelin ist kiirzlich in dieser Zeitschrift 1) der Frage nachgegangen, in welcher Weise wir am besten in der Erforschung der psychischen Krankheitsformen --speziell ihrer Umgrenzung und Gruppierung --weiterkommen kSnnen. Er erkennt mancherlei Schwierigkeiten und Unstimmigkeiten in der klinischen Erkenntnis auf diesem Gebiete an und weist schlieBlich auf das ihm bew~hrte Hilfsmittel einer systematischen Aufstellung und Ausarbeitung klinisch geordneter Z~hlk art e n hin, die ihm ffir diesen
more » ... k ausreichenden Erfolg versprechen. Es ist also eine Art organisatorisch-praktischer MaBnahme, deren Ausbau er fiir die klinische Weiterarbeit empfiehlt, w~hrend er im iibrigen auf dem Standpunkt steht, dab im Rahmen dieser MaBnahme die bisher gegebene Forschungsrichtung festzuhalten und weiter zu verfolgen ist. Als Kraepelin seinerzeit in den stockenden Gang der klinischen Forschungsarbeit eingriff, da begniigte er sich nicht damit, die festgefahrenen Gleise durch technische Nothilfen gangbarer zu machen. Da tat er ganze Arbeit. Er wechselte mit den Forschungsprinzipien. Er erkannte von vornherein die Unzul~nglichkeit, die grunds~tzliche Sterili-t~t jener symptomatologischen Betrachtungsweise, die sich darin erschSpfte, einzelne Teilerscheinungen des ~uBeren Krankheitsbildes -und nicht einmal immer die wesentlichen --, voriibergehende Erschei-n~ngsformen von Symptomenkomplexen und Zustandsbildern herauszugreifen und ohne weiteres als selbst~ndige pathologisch Einheiten, als echte Krankheitsformen hinzustellen. Er setzte bewuBt an ihre Stelle die im engeren Sinne klinische Forschungsmethode, die auch die anderen Seiten des klinischen Brides, insbesondere Verlauf und Ausgang, als vollwertige Bestandteile mit heranzog und erst aus diesem Gesamtkomplex die Einheit der Krankheitsform ableitete. Die fruchtbare klinische Arbeit, die von da an einsetzte, der klinische Gewinn, der in ziemlich rascher Folge mit der Aufstellung yon gutfundierten Krankheitstypen gegeben war, braucht hier nicht dargelegt zu werden. Der gegenw~rtige Stand --wenn man will Hochstand --der klinischen 1) 51, 224. Z. f. d. g. Neur. u. Psych. O. LIII. 9 122 K. Birnbaum :
doi:10.1007/bf02919243 fatcat:seog2x5zvbgvflurg6qd2fyje4