Eine hermeneutische untersuchung der sprachlich-historischen apriorität
Milos Jovanovic
2019
Filozofija i Društvo
Die vorliegende Arbeit berücksichtigt die Philosophie und Poetik der Geschichte und der Sprache a priori im poetischen und literarischen Werk von Peter Handke, in seinem poetologischen Essay Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms und seinem Drama Die Fahrt im Einbaum oder das Stück zum Film vom Krieg, und zwar im Ausgang von der kantianischen Idee der Apriorität der Geschichte. Die Geschichte a priori ist, laut Kant, möglich, "wenn der Wahrsager die Begebenheiten selber macht und veranstaltet,
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... die er zum voraus verkündigt". Die identische Idee vom Subjekt, das vor der Geschichte besteht, finden wir auch im poetischen Werk von Peter Handke, sowohl in seinen poetologischen Schriften, als auch in seinem dichterischen Werk. Das Ziel der Arbeit ist, durch eine immanente, phänomenologisch-hermeneutische Deutung der Werke des Philosophen und des Schriftstellers die unumstrittene enge Beziehung zwischen ihren geschichtsphilosophischen, bzw.poetologischen Ideen aufzuweisen und einen allgemeinen philosophischdichterischen Rahmen für die Erklärung aller Geschichtsphilosophien ohne Ausnahmen zu geben. EINE HERMENEUTISCHE UNTERSUCHUNG 596 │ Miloš M. Jovanović Wirklichkeit gewährleistet. Bei Handke geht es in seiner Literatur weder um die Erfindung noch um die Phantasie, denn jede auf sich selbst beruhende und sich selbst genügende Phantasie scheint ihm etwas Beliebiges, Unüberprüfbares und Privates zu sein, sie wirkt, laut Handke, auf den Menschen ablenkend von der wirklichen, situationsgebundenen Geschichte und unterhaltend und führt ihn durch seine Fiktion in eine Selbst-und Weltvergessenheit. Die Wirklichkeit der Literatur, die typischerweise für jeden eigentlichen Dichter und auch für Handke gleichsam höheren Grades in Bezug auf die außerliterarische Wirklichkeit ist, mache den Menschen "aufmerksam und kritisch für die wirkliche Wirklichkeit", sie kläre ihn über ihn selber auf und über das, was um ihn vorgehe. (Handke 1972: 19 ) Diese zwei 'Wirklichkeitssphären', sowohl die in einem Einzelnen Stehende ('subjektive') und die um ihn Vorgehende ('objektive') als auch die literarische (die dem dichterischen Subjekt entsprungene, aber auf keinen Fall ausschließlich auf es herabzuführende) und die außerliterarische, sind grundsätzlich zu unterscheiden und gehören zugleich gemeinsam und verschmelzen bei Handke immer zu einer höheren, übergreifenden, allumfassenden, sich ständig im Ausbilden verhaltenden und so auch zu verstehenden Wirklichkeit. Die differentia specifica eines literarischen Kunstwerkes gegenüber allen anderen Wirklichkeiten besteht, laut Handke, aber darin, dass es immer eine Neuigkeit in sich birgt, zumindest eine Erwartung von etwas Neuem im Subjekt erweckt, etwas, das ändernd auf den Menschen einwirkt und "eine noch nicht gedachte, noch nicht bewußte Möglichkeit der Wirklichkeit bewußt macht", eine neue Möglichkeit des Sehens, Sprechens, Denkens und Existierens. (Handke 1972: 19-20) Die Möglichkeit der Literatur, neue und noch nicht gedachte Möglichkeiten zu schaffen, erwächst aus der Grundverfassung des menschlichen Daseins und des Seins überhaupt, das sich in seiner Unendgültigkeit als ein ständig änderndes (fortschreitendes oder nicht) und sich anders und zu einem anderen machendes Wesen begreift. (vgl. Handke 1972: 20) Die Literatur sei immer eine neue Darstellung der Welt durch immer neue Darstellungsmöglichkeiten und -modelle, wobei die Möglichkeit der Nachahmung dieser Möglichkeiten und Mittel für Handke grundsätzlich ausgeschlossen ist. (Handke 1972: 20) Die Literatur ist, also, wie das Dasein selbst, einmalig, weil sie aus der Einmaligkeit der immer neuen, ungewöhnlichen Möglichkeiten emporwächst. Demzufolge bezeichnet Handke jeden Versuch der Wiederholung und Nachahmung der bekannten Modelle als eine bloße Variation und Manier. "Ich erwarte von der Literatur ein Zerbrechen aller endgültig scheinenden Weltbilder", (Handke 1972: 20) schreibt Handke diesen Satz, fundamental für das richtige Verständnis des anhand der Geschichtsphilosophie von Immanuel Kant erst später im Laufe dieser Arbeit zu interpretierenden Phänomens der Geschichte und Sprache a priori. Die realistische Kunst-, Literatur-und die ihnen zugrundeliegende Wahrheitsauffassung, die davon ausgeht, dass zwischen den sprachlich-künstlerischen Gebilden und den außersprachlichen Gegenständen eine restlose, absolute 'Übereinkunft' ("adaequatio") bestehen soll, "dass 'Dinge", also, wie Handke für die realistische Darstellungsweise sagt, "beim Namen genannt werden'"
doi:10.2298/fid1904595j
fatcat:d6unflzkc5agnl3dye7drbwedi