Die dritte Säule in der Alterssicherung – brauchen wir eine Neubewertung nach der Finanz- und Wirtschaftskrise? Deutschland im europäischen Vergleich

Traute Meyer
2015 Sozialer Fortschritt  
Die dritte Säule galt in der vergleichenden Sozialpolitikforschung schon vor der Finanz-- und Wirtschaftskrise als ungeeignetes Instrument: Eigenverantwortlich-keit führt zu Sicherungslücken und das individualisierte Investitionsrisiko ist zu hoch. Die dritte Säule ist deshalb in europäischen Ländern auch nach Kürzungen für die soziale Sicherheit der Bevölkerung unwichtig. Sowohl die Bismarck--Länder, die sich auf die erste Säule stützen, als auch die Beveridge--Staaten, wo erste und zweite
more » ... e entwickelt sind, verlassen sich nicht auf Selbstverantwor-tung, sondern garantieren einen großen Teil der Rente gesetzlich oder durch an-dere kollektive Regelungen. Deutschland bildet hier eine Ausnahme, dadurch werden besonders Geringverdiener hohen Risiken ausgesetzt. Weitere Reformen sind deshalb nötig. Even before the Financial Crisis comparative welfare state research did not con-sider the third pillar as suitable tool: voluntarism leads to under--insurance and the individualised investment risk is too high. Thus, the third pillar is irrelevant for social security of the population in European countries, despite some re-trenchment. Voluntary savings only play a minor role in countries which mainly rely on the first pillar (Bismarckian group) as well as in those where the first and second pillar have developed (Beveridgean group). Instead both groups guaran-tee a substantial share of individuals' pensions through legislation or collective regulation. Germany is an exception, leading to high risks particularly for those on low pay. More reforms are therefore needed. 2 An ihrem 65. Geburtstag im Januar 2007 trat Frau Müller nach 40 Jahren als mittlere Bankangestellte in den Ruhestand. Neben ihren Beiträgen zur gesetzli-chen Rente hatte sie freiwillig während ihres Erwerbslebens monatlich fünf Pro-zent ihres Gehalts in eine persönliche Rentenversicherung eingezahlt. Von die-sem Ersparten kaufte sie sich eine Rente, die ihr 34 Prozent ihres letzten Ein-kommens ersetzte. Frau Müller hatte Glück, wäre sie ein Jahr jünger gewesen, hätte das gleiche Ersparte 2008 nur noch eine Rente im Wert von 24 Prozent ih-res Einkommens erzielt (siehe Antolin/Stewart 2009, S. 21). Da durch die Krise des globalen Bankensystems die Preise auf den Kapitalmärkten fielen und die Kosten für Annuitäten stiegen hätte sich der Umfang von Frau Müllers Ersparten innerhalb eines Jahres um zehn Prozentpunkte reduziert. Frau Müllers hypothetisches Schicksal, konstruiert auf der Basis von Berechnun-gen der OECD, zeigt die drastischen Auswirkungen der Finanz-- und Wirtschafts-krise auf Rentensparpläne, deren Leistungsniveau von der Beitragshöhe und Ka-pitalmarkterträgen abhängt. Dies gilt sowohl für Betriebsrenten als auch für in-dividuelle Sparpläne. Das Beispiel illustriert, wie volatil das Niveau dieses Anla-getyps sein kann, es ist deshalb ein starkes Argument dafür, dass die dritte Säule in der Alterssicherung eine neue Bewertung braucht. Oder? Der folgende Beitrag wird das Drei--Säulen--Modell der Weltbank kurz darstellen, um dann einen Überblick zu geben darüber, was wir aus der vergleichenden So-zialpolitikliteratur über die Bedeutung der dritten Säule wissen. Sie gilt hier aus zwei Gründen als relativ unbedeutend für die Einkommenssicherheit der Bevöl-kerung. Der erste ist Freiwilligkeit als Zugangsform. Menschen mit niedrigeren Einkommen haben nur einen geringen Konsumspielraum, freiwilliges Sparen ist schwer für sie. Versicherer machen auch lieber einen Bogen um diese Gruppe. Aber auch höhere Einkommensgruppen sparen nicht unbedingt freiwillig für das Alter, da Menschen es generell schwierig finden, zukünftige Risiken einzuschät-zen, ihnen eine Priorität in der Gegenwart zu geben und entsprechend zu planen. Unser Wissen über komplexe Sparprodukte ist außerdem lückenhaft, sich für das "Richtige zu entscheiden fällt deshalb schwer. Freiwilligkeit produziert so Siche-rungslücken. Neben der Zugangsform ist die Anlageform eine Schwäche der drit-ten Säule. Das Ersparte wird auf Aktien--und Kapitalmärkten investiert deren Entwicklung stark schwanken kann; das Investitionsrisiko trägt zudem das In-dividuum, einen Risikoausgleich durch ein Kollektiv gibt es nicht. Aufgrund die-ser beiden Schwächen spielt die dritte Säule für die Alterssicherung europäi-scher Länder eine geringe Rolle. Das Bild der "drei Säulen suggeriert eine Aus-gewogenheit zwischen gesetzlicher, betrieblicher und persönlicher Rente, die es in der Realität nicht gibt. Der vergleichenden Forschung waren diese Schwächen schon vor 2008 bekannt. Die Krise hat ihre Relevanz erneut bestätigt, fundamen-tal Neues haben wir durch sie nicht gelernt. Dennoch müssen wir die dritte Säule ernst nehmen. Seit Beginn der 2000er Jahre sind nämlich die gesetzlichen und verpflichtenden betrieblichen Renten in vielen europäischen Ländern gekürzt worden. Dies gilt in besonderem Maße für die Bundesrepublik Deutschland. Den Lebensstandard sicherndes Sparen hängt hier inzwischen in hohem Maße von Freiwilligkeit ab. Darüberhinaus hat sich die Anlageform deutlich verändert. Es bestimmt nicht länger ein politisch gesteuertes Umlageverfahren die Höhe der durch Sozialversicherungsbeiträge erworbenen Leistungen, sondern die Erträge des freiwilligen Sparens sind weitgehend von der Entwicklung der Kapital-- und Aktienmärkte und dem Verhalten der Versicherungsunternehmen abhängig. In
doi:10.3790/sfo.64.8.189 fatcat:yzz2laf2szhybchnw2vubfxl4i