Nationale Identitäten und Außenpolitiken: Erkenntnisse, Desiderate und neue Wege in der Diskursforschung [chapter]

Bernhard Stahl, Sebastian Harnisch
2009 Vergleichende Außenpolitikforschung und nationale Identitäten  
Wenn Identität die Vorstellung eines Akteurs über sich selbst im Verhältnis zu anderen bezeichnet, dann umfassen außenpolitische Identitäten Ideen über die Natur und die Ziele eines bestimmten politischen Systems im Verhältnis zu seiner internationalen Umwelt. Diese Identitäten werden durch Wertvorstellungen und Normen der nationalen und internationalen Gesellschaft geprägt. Außenpolitische Identitäten konstituieren Akteure, indem sie sie voneinander unterscheidbar machen. Sie wirken
more » ... g sinnstiftend und rechtfertigend, da sie dem Akteur Ziele, Strategien und Instrumente nahelegen, die im Einklang mit der angenommenen Identität stehen. Zur Rechtfertigung von außenpolitischem Handeln können Identitäten von (Regierungs-) Akteuren überdies eingesetzt werden, wenn der Einsatz bestimmter Mittel oder Strategien als legitim und angemessen für eine bestimmte Identität dargestellt werden kann (vgl. Reus-Smit 1997: 565). Außenpolitische Identitäten von Nationalstaaten enthalten inkludierende und exkludierende Aussagen über die Gruppenmitgliedschaft. Diese Aussagen beruhen auf einem Normen-und Wertekonsens und/oder werden aus einer ethnischen, religiösen oder sprachlichen Gemeinsamkeit abgeleitet. Nationale Identitäten können daher gleichermaßen gemeinschaftsbildend wie -zerstörend wirken. Die Identitätsforschung hat diese Dichotomie aufgegriffen, indem sie die regulative Wirkung von nationalen Identitäten auf die Außenpolitik westlicher Staaten und auch die konstitutive Wirkung ethnischer Identitäten in Bürgerkriegen untersucht hat. 1 Damit ist das Spektrum identitärer Ausprägungen und Effekte aber bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Identitäten können, wie das Beispiel der Europäischen Union zeigt, auch partiell ausgebildet sein, d. h. regulativ nur ein sehr eng umgrenztes Verhalten rechtfertigen. So können externe Akteure den (hohen) normativen Anspruch der EU, Menschenrechtsverletzungen abzuwenden, dazu nutzen, den identitären Handlungsrahmen durch eine (bewusste) Inkaufnahme einer Konflikteskalation zu erweitern.
doi:10.5771/9783845218175-31 fatcat:so2yjmy7hfcfvc5diubywpikbe