Zur Radiumbehandlung des Trachoms

E. Jacoby
1906 Deutsche Medizinische Wochenschrift  
Die Analogie, die die Strahlung des Radiums in biologischer und physikalischer Beziehung zum Teil mit den Röntgenstrahlen aufweist, die Möglichkeit, durch diese adenoides Gewebe zum Schwinden zu bringen, wie Heinecke sie experimentell bewiesen hat, schließlich auch die zuerst von Goldzieher beschriebenen Heilangsvorgänge bei der Röntgenbehandlung des Trachoms gaben fiir die Anwendung des Radiums bei dieser Erkrankung zunächst eine gewisse theoretische Grundlage. Nachdem H. Cohn (1) dieser Frage
more » ... praktisch nähergetreten war und im Breslauer Aerzteverein einen sehr gunstigen Bericht über seine Erfolge gegeben hatte, mußte es geboten erscheinen, durch ausgedehntere Anwendung des Radiums beim Trachom ein Urteil über diese anscheinend so wertvolle Bereicherung unserer Hilfsmittel zu gewinnen. Geheimrat Uhthoff hatte in der Diskussion, die der Cohnschen Demonstration folgte, einige Bedenken geäußert, die keineswegs die Möglichkeit, daß sich Trachom, resp. ein Fall von Conjunctivitis follicularis, wie ihn Cohn vorgestellt hatte, durch Radium beeinflussen lasse, bestreiten, sondern nur warnen wollten vor einer Ueberschätzung eines Mittels, dessen Niitzlichkeit oder Schädlichkeit am Menschen noch durchaus nicht genügend klargestellt war. So beauftragte mich Geheimrat Uhthoff, in einer Reihe von Trachomfällen die Wirksamkeit des Radiums zu'prüfen. Da der von Cohn demonstrierte Fall eine Conjunctivitis follicularis gewesen war, wurde auch diese zur Radiumbehandlung herangezogen. Eine kurze Aeußerung über einen Teil dieser Ergebnisse gab Geheimrat Uhthoff bereits auf dem Heidelberger Ophthalmologenkongreß (1905) im Anschluß an die Mitteilungen Dariers über angebliche Heilerfolge mit Radium bei verschiedenen Affektionen und speziell auch beim Trachom. Eine gewisse Beeinflußbarkeit des Trachoms und vor allem der Conjunctivitis follicularis hatte sich damals schon ergeben. Entsprachen sie aber auch schon da nicht jenen ersten Schilderungen Cohns, so hat der weitere Verlauf uns gezwungen, im allgemeinen, besonders aber bei der Conjunctivitis follicularis, noch vorsichtiger in dr Beurteilung des Nutzens der Radiumbehandlung zu sein. Im Laufe von neun Monaten wurden so acht Fälle von Trachom und drei von Conjunctivitis follicularis behandelt, nachdem wir aus der eingehenden experimentellen Arbeit von Birch-Hirsch feld (7) und aus eigenen kurzen Vorversuchen an Kaninohen entnommen hatten, daß bei nur einigermaßen vorsichtiger Anwendung eine Schädigung nicht zu befürchten war. Daß die Zahl der so behandelten Fälle nicht größer war, liegt nur daran, daß wir eine Auswahl trafen. Bevorzugt wurden follikuläre Trachome, allerdings auch solche mit diffuser Infiltration nicht ausgeschlossen. Ferner wurden bei der Unsicherheit des Mittels Patienten mit ernsteren Hornhautkomplikationen (progressivem Pannus, Ulcus corneae, Trichiasis) ausgeschlossen, nachdem wir im Falle 2 gesehen hatten, daß der Pannus im Anfange der Behandlung Fortschritte machte. Wenn er sich auch später wieder zurfiekbildete und ein dauernder 1) L. Ç r e hi, Pathologische Physiologie, 3. Auflage, Leipzig 1904, S. 129. DEUTSCHE MEDTINESCHE WOCIIENSCffRIFp. 61 Schaden nicht entstand, so ist das jedenfalls doch eine unangenehme Komplikation. -Die Erfolge und Mißerfolge der Radiurubehandlung wurden von Herrn Geheimrat U h th o f f dauernd mitbeobachtet, sodaß Selbsttäuschungen im guten oder schiechten ausgeschlossen waren. Während meiner Abwesenheit wurden die Versuche von Herrn Dr. Tödter fortgesetzt, mit dem gleichen Ergebnis. Es wurde stets nur ein Auge mit Radium bestrahlt, während das andere mit den üblichen medikamentösen und mechanischen Mitteln behandelt wurde, um so einen Vergleich des Wertes beider Behandlungsweisen zu gestatten. Dabei ließ ich dem Radium insofern einen Vorsprung, als ich bei ungleicher Schwere der Affektion beider Augen das leichter erkrankte mit Radium behandelte, -einerseits mit Rücksicht auf die Patienten, da doch das neue Mittel noch zu wenig bekannt war, anderseits auch um dem Radium möglichst günstige Bedingungen zu schaffen und so leichter ein günstiges Urteil fiber seine Wirksamkeit zu gewinnen. Im übrigen geht die Art der Fälle aus den angeführten Krankengeschichten hervor, ebenso auch die Häufigkeit und Dauer der Behandlung. Allgemein sei nur bemerkt, daß die Dauer der einzelnen Bestrahlungen nur in den ersten Fällen 10, später immer 15 Minuten betrug und daß in Reihen von vier bis acht Sitzungen täglich bestrahlt wurde. Dabei geschah die Anwendung so, daß in Fällen, die zirkumskripte Follikel zeigten, nach Cohns Vorschrift möglichst die einzelnen Follikel berührt wurden. Freilich mußte ich, wie auch alle andern, die Trachome mit Radium behandelten [SeJenkowski (2). Falta (3)] bald und in den meisten Fällen von dieser Vorschrift absehen, da es sich hier um diffuse Conjunctivalverdickungen handelte , und ein langsames Bestreichen der Conjunctiva anwenden. Als Präparat kamen 2 mg Radiumbromid zur Anwendung, die in ein Glasröhrchen on 2 mm Dicke und 30 mm Länge eingeschmolzen waren. .fnir folgten auch hierin den Angaben Cohns, wenn auch zubefürchten war. dali durch das Glas des Röhrchens die Wirksamkeit des Präparats noch mehr abgeschwächt wurde. als dies sogar schon bei den dünnen Glimmerplättchen der Fall Ist, wie aus den bakteriologischen Versuchen von Aschkinass und Caspari (4) hervorging. Anderseits ist freilich die Kapsel am Lide unhandlich, besonders eine ausreichende Behandlung der Uebergangsfalte durch sie schwierig. Von Borsiiiureumschlägen abgesehen, wurde natürlich an dem mit Radium behandelten Auge keine weitere Therapie angewendet. Krankengeschichten: l'aIl 1 Frau M., 31 Jahre alt, leidet seit drei Jahren an Bindehautentziindung, schon vielfach behandelt. Einseitiges Traehom; Conj. palp. ini. wenig verdickt, von ziemlich großen Follikein mit ausgesprochen froschlaichartigem Aussehen durchsetzt. Oben große Follikel in der liJebergangsfalte, von der eine Falte mit Follikein herabhängt. Conj. tars zum größeren Teil glatt. Cornea klar. Rechts normale Conjunctiva. Die Behandlung erstreckte sich vom 1. März bis November. In dieser Zeit wurden oben 9, unten 5 Bestrahlungsreihen von je 4-8 Sitzungen und 10-15 Minuten Dauer vorgenommen. Die Pausen betrugen 10 Tage bis 4 Monate, je nach dem schnelleren oder langsameren Auftreten der Rezidive. Ein Erfolg wurde fast mit jeder Bestrahlungsreihe erzielt, insofern als die Follikel für das bloße Auge im wesentlichen verschwunden waren. Mit der Lupe sah man freilich auch im Zustande der scheinbaren Heilung Andeutungen der Foilikel, besonders am oberen Tarsairande. Dem entsprachen auch die immer wiederkehrenden Rezidive. Augenblicklich ist Pat. wieder geheilt". Namentlich subjektiv, doch beginnen bereits am Unterrande die Follikel wieder zu schwellen. -Die oben erwahnte Conjunctivalfalte, die sich wesentlich verdünnt hatte, aber nicht ganz zurückgehen wollte, wurde schließlich (zwei Monate nach der letzten Bestrahlung) exzidiert und mikroskopisch untersucht (s. unten). Fall 2 Anton Z, 30 Jahre alt. Beiderseitiges altes Trachom. Starke Rötung. Diffuse Verdickung der Conjnnctiva. Ziemlich reichliche, größere Follikel, aus der diffusen Verdickung der Conjunctiva vorragend. Beiderseitiger Pannus corneae im oberen Drittel. Behandlungsdauer i5 Monat, rechts mit Argeutum nitricum, Rollen mit der Knappschen Pinzette, links oben und unten je zwei Reihen von je vier bis fiinf Bestrahlungen mit drei bis fünf Wochen Pause. Zunächst einen Tag um den andern, dann tägliche Bestrahlung. Resultat: Rechts keine deutlichen Follikel mehr, links kein deutlicher Rückgang der Follikel. Pannus fast unverändert. Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
doi:10.1055/s-0028-1141809 fatcat:ou7uchbkfncyxlity3hhgpf6o4