Aufs Lebensende vorbereiten
2015
Schweizerische Ärztezeitung
Noch nie wurde einsamer gestorben als heute.» Als Daniel Infanger, Pfarrer aus Bern, diesen Satz sagt, kommen Bilder in einem hoch: von Menschen, die alleine zu Hause in einem Bett liegen, Bilder von tod kranken Patienten, für die Ärzte und Pflegepersonal keine Zeit haben, Bilder von hilflosen Angehörigen, die nicht wissen, an wen sie sich mit ihrer Trauer wenden können. «Wir haben zunehmend die Ten denz, das Sterben vom Leben fernzuhalten», sagte In fanger. Das lässt sich nur gemeinsam ändern,
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... so das Fazit der Experten auf dem Nationalen Palliative Care Kongress, der kürzlich in Biel stattfand*. «Krankhei ten werden immer komplexer, gleichzeitig ermög lichen Fortschritte neue Therapien», sagte Steffen Eychmüller, Vizepräsident v on palliative c h, d er Schweizerischen Gesellschaft für Palliative Medi zin, Pflege und Begleitung. «Hinzu kommen die immer steigenden K osten i m Gesundheitssys tem. Um diese Herausforderungen bewältigen zu können, müssen wir bereits in der Aus und Weiter bildung Schnittstellen zwischen den Ausbildungs gängen v erschiedener G esundheits u nd S ozial berufe anbieten. Nur so können wir in einem frü hen Stadium die Fachkompetenzen vermitteln, um Pa tienten einfühlsam und kompetent am Lebens ende und beim Sterben begleiten zu können.» Das Studium bereitet auf den Tod nicht vor Wann haben Sie zum ersten Mal einen Patienten beim Sterben begleitet? Oder haben Sie das noch nie? Viele Ärzte fühlen sich auf diese Situation nicht gut vorbereitet. Wie können sie auch, wenn sie während ihrer Ausbildung nie damit zu tun haben. «Wir ler nen viel und gleichzeitig nichts über das Sterben», sagte Manuel Schaub, Medizinstudent aus Bern, der mit seinem ernsten und gleichzeitig mit viel Humor gespickten Vortrag das Publikum fesselte. «Wir sind nach unserem Studium in der Lage zu erklären, was passiert, wenn eine Zelle im Körper aufhört zu funk tionieren. Wir wissen alles Mögliche über Gerätschaf ten, d ie d en T od v erhindern s ollen und oft auch können. Wir kennen v on vielen K rankheiten die Wahrscheinlichkeit, daran zu sterben und wir wissen, wie man diese Wahrscheinlichkeit verändern kann. Aber wie das mit dem Sterben geht, wissen wir nicht.» Zwar sei es ein guter Ansatz, dass im fünften Studien jahr einige Vorlesungen über Palliativmedizin ange boten würden, die auch gut besucht seien. «Trotzdem hinterlässt die Tatsache, dass wir in unserem Stu dium mehr Zeit damit verbringen, das Hebelgesetz zu lernen und Widerstände in elektrischen Schalt kreisen zu berechnen, als sich mit dem Sterben zu be schäftigen, bei mir ein flaues Gefühl», sagte Schaub. Viele Studierende hätten das Bedürfnis, mehr über Palliative Care zu wissen. Die Vereinigung der Schwei zer Medizinstudierenden hat deshalb ein Projekt ge startet mit Namen «doctors and death». In einem ein tägigen Workshop diskutieren die T eilnehmer mit Palliativmedizinern, Ethikern, Seelsorgern und Psy chologen und besuchen eine Palliativstation oder ein Hospiz. «Der Kurs ist beliebt und jeweils schnell aus gebucht», erzählte S chaub. W ie wichtig Interdiszi plinarität in der Palliativmedizin ist, merkte er als junger S tudent i n Wien. O berschwester F räulein Gerti, «so streng wie ihr Name und ihre Berufsbe zeichnung», war die erste, die ihm gezeigt habe, wie er mit einer Situation eines sterbenden Patienten umge hen könne. «Sie hat mir während der Nachtschicht als Einzige angesehen, dass ich mit dem Tod des Patien ten überfordert bin», erzählte Schaub. «Oberschwes ter Fräulein Gerti hat dann das Fenster geöffnet, um die Seele des Patienten rauszulassen und dazu in brei tem Wienerisch gesagt ‹Dommit hams olls gmocht, was kenn'n und nu is gut.›» Selbst als bekennender Atheist habe ihm die frische Luft gut getan. «Es ist so wichtig, dass wir angehenden Ärzte einen persön lichen Weg im Umgang mit solchen Situationen fin den und lernen, wie der aussehen könnte. Das habe * http://de.palliative kongresse.ch Man könne nur interprofessionell arbeiten, sagte Eychmüller, wenn man die Kompetenzen der anderen kenne und wertschätze. SCHWEIZERISCHE ÄRZTEZEITUNG -BULLETIN DES MÉDECINS SUISSES -BOLLETTINO DEI MEDICI SVIZZERI 2015;96(5):158-160 TRIBÜNE Tagungsbericht 158
doi:10.4414/saez.2015.03276
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