Ueber Herzerweiterung
H. Straub
1919
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Die klinische Lehre von dem Wesen' der Herzerweiterung ist von der Vorstellung getragen, daß sich die muskelgesunde Herzkammer bei der Systole ganz oder doch nahezu vollständig entleere. Dementsprechend wurde das Bestehen eines systolischen Rückstandes als Zeichn von Muskeischwäche angesehen. 'Herzerweiterung bei muskelgesundem Herzen ist dann nur denkbar durch Vermehrung des Schlagvolurnens, die zu vermehrter diastolischer Füllung bei unveränderter systolischer Entleerung ftibrt. Aus diesen
more »
... oretischen Erwägungen erwuchs die Lehre daß eine Herzerweiterung mit dem Wesen derjenigen Kiappenfehler verbunden sei, welche zu Vermehrung des Schlagvolumens einzelner H.erzabschnitte führen, im wesentlichen also der Insuffizienzen, während bei den nicht zu Vergrößerung der Schlagvolumina führenden Klappenfehiern, besonders den Stenosen, eine Erweiterung der Herzhöhlen ausbleibe. Manche klinische Beobachtung schien mit dieser Vorstellung in gutem Einklang zu stehen. Die Lehre ruhte bisher fast ausschließlich auf den Ergebnissen klinischer Untersuchungsmethoden. Freilich reichen die am Krankenbett zur Verfügung stehenden Untersuchungsmittel zur Vermittlung quantitativer Vorstellungen nicht aus. Immerhin fiel auf, daß kein Verfahren, einschließlich des Röntgenverfahrens, erhebliche Unterschiede zwischen sy-stolischer und diastolischer Herzgröße ergibt. Aenderungen des Schlagvolumens allein können sich also für unsere klinischen Methoden nicht als Herzvergrößerung geltend machen. Tatsächlich tritt auch nach enormer Vermehrung des Schlagvolumens bei exzessiver Muskelarbeit am muskelgesunden Herzen keine Erweiterung im klinischen Sinne auf. Das heißt, Zunahme des Schlagvolumens führt nicht zu klinisch nachweisbarer Herzerweiterung. Die Dilatation des Klappenfehleiherzens durch Vermehrung des Schlagvolumens zu erklären, erscheint demnach nur dann zulässig, wenn sich nachweisen läßt, daß ein Klappenfehler zu wesentlich stärkerer Vermehrung des Schlagvolumens führt ais physiologische Muskelarbeit. Wir wissen, daß bei Muskelarbeit das Minutenvolum auf das Achtfache des Ruhewertes, das Schlagvolumen also -da die Frequenz steigtauf mindestens das Vierfache steigen kann. So beträchtliche Vermehrung des Schlagvolumens wird ein Kiappenfehier kaum je hervorrufen. Die Lehre, daß die Herzerweiterung bei kompensierten Kiappenfehiern durch Vermehrung des Schlagvolumens zustandekomme, steht also zu klinischen Beobachtungen im Widerspruch. Entweder wäre jede nachweisbare Herzerweiterung, auch bei Klappenfehlern, der Ausdruck unzureichender Muskeltätigkeit, oder es kommen noch andere, bisher nicht gewürdigte Faktoren in Frage. Es mußte der Versuch gemacht werden, den Widerspruch durch Tierexperimente zu klären. Die Volumkurve der Kammern stellt die Veränderungen der Herzgröße in allen drei Dimensionen des Raumes objektiv dar. Fig. 1 gibt, piethysmographisch dargestellt, die Wirkung verschiedener Einflüsse auf die Herzgröße in schematischer Weise. Die Wirkung einer Vergrößerung des Schlagvolumens, zwischen a und b, besteht bei ungeändertem arteriellen Druck in einer Verschiebung ausschließlich des diastolischen \Tentrikelvolums um genau den Betrag der Schlagvolumenszunahme nach der diastolischen Seité. Das systolische Volumen bleibt ungeändert. Die Druckamplitude des Aortenpulses wächst. Anders bei Erhöhung des Widerstandes zwischen c und d. Die Kammer vermag den erhöhten Anforderungen znächst nicht zu eni sprechen, während einiger Kontraktionen wird nur ein Teil des in der Diastole einströmenden Blutes ausgeworfen, die Volumenamplitude sinkt, der systolische Rückstand wächst, und da während der Diastole immer dieselbe Blutmenge nachströmt, verschiebt sich die Volumkurve in ihrem systolischen und diastolischen Teil nach der diastolisehen Seite. Erst die so vermehrte Anfangsfüllung und, wie wir hinzufügen wollen, Anfangsspannung befähigt nach bekannten Zuckungsgesetzen deü Herzmuskel zu vermehrter Arbeit. Nun wird das alte Schlagvolumen gegen erhöhten Widerstand wieder vollkommen ausgeworfen. Die zur Ueberwindung erhöhten Widerstandes notwendige, also in strengem Sinne des Wortes kompensatorische Dilatation äußert sich also im Gegensatz zu dein, was wir bei Vermehrung des Schlagvolumens kennen gelernt haben, in einer Verschiebung auch der systolischen Einstellung. Zunahme des systolischen Rückstandes ist a-Iso nicht ein Zeichen ungenügender Muskeltäti'keit, sie kann ein kompensatorischer Vorgang zur Ueberwindung erhöhten Widerstandes sein. Tierexperimente ergeben das Gesetz, daß die Größe des systolischen Rückstandes bei gleichbleibender Beschaffenheit des Muskels in erster Annäherung unabhängig von der Größe des Schlagvolumens und eine fast eindeutige Funktion des arteriellen 'Widerstandes ist. Wie sich aus Fig. 1 ergibt, die im Leben vorkommende Verhältnisse auch quantitativ ziemlich richtig wiedergeben dürfte, verschiebt eine solche Dilatation auch schon bei mäßiger Widerstandserhöhung das Volum viel erheblicher nach der diastolischen Seite als Vergrößerung des Schlagvolumens. Das Experiment deckt also als Quelle einer auch klinisch nachweisbaren Dilatation die Vermehrung des systolischen Rückstandes auf, die auch auftreten kann, ohne daß muskuläre Insuffizienz bestehen müßte. Schädigt man bei ungeändertem Schlagvolumn mid Widerstand. die systolisch.e Kontraktionskraft des Herzmuskels, im Experiment Z: B. durch Kohlensäure, Chloroform oder als Nachwirkung extrasystolischer Arrhythmie Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
doi:10.1055/s-0028-1137815
fatcat:gjhf3tcl5nbsbj74vr754wtd3y