Aischylon d'aresomai. Der 'neue Aischylos' in den Fröschen des Aristophanes

Peter Von Möllendorff
2010
Die Interpreten der .Frösche' des Aristophanes haben sich von jeher mit der Frage konfrontiert gesehen, warum Dionysos am Ende des Stückes statt Euripides -zu dessen Errettung er ursprünglich seinen Gang in den Hades angetreten hatte -den älteren Tragiker Aischylos erwählt und ins Leben zurückkehren läßt. Neben einem achselzuckenden Zur-Kenntnis-Nehmen angeblich typisch komischer Sprunghaftigkeit haben sich hier zahlreiche Forscher mit dem Postulat rationaler Eindeutigkeit der komischen
more » ... t um den Nachweis bemüht, daß nicht nur Aischylos der realiter bessere Dichter von beiden sei, sondern auch von Beginn des Dichter-Agons an systematisch sein Sieg vorbereitet werde. Die Einsicht, daß im Gegenteil der Wettkampf der beiden Dichter bis zum Ende unentschieden bleibt, beginnt sich erst allmählich durchzusetzen 1 . in Auseinandersetzung mit Sommerstein M. Hose, Drama und Gesellschaft. { Studien zur dramatischen Produktion in Athen am Ende des 5. Jahrhunderts [= Drama. Bei träge zum antiken Drama und seiner Rezeption, hg. v. F. De Martino u.a., Beiheft 3], Stutt gart 1995 (dort zu den .Fröschen': 169-184). Andere wichtige Arbeiten: G. Wills, Aeschylus' victory in the Frogs, in: AJPh 90, 1969, 48-57; A.H. Sommerstein^Aristophanes, Frogs 1463-5, in: CQ 24, 1974, 24-27; H. Erbse, Dionysos' Schiedsspruch in den Fröschen des Aristophanes, in: K. Vourveris, A. Skiadas (Hg.), Atbpnua Hans Diller zum 70. Geburtstag, Athen 1975,45-60. 1 Vgl. z.B. M. Lossau, Amphibolisches in Aristophanes' Fröschen, in: RhM 130, 1987, 229-247; S. Goldhill, The poet's voice: essays on poetics and Greek literature, Cambridge 1991, 218 f.; methodische Klugheit beweist auch MacDowell, der klarstellt: "It is not true that Aeschylus' remarks are all sensible and Euripides' all foolish. [...] Aristophanes intends the contest to be a close one. [...] It is important to observe how carefully Aristophanes ba-130 PETER V. MÖLLENDORFF Vor diesem Hintergrund sollen die folgenden Ausführungen zeigen, daß Aristophanes sowohl die Gestalten des Aischylos und Euripides sich im Verlauf der Komödie in ihrem Verhalten aufeinander zu entwickeln läßt als auch die mit den beiden Tragikern verbundenen politischen und poetischen Wertungen ihrer Polarität entkleidet und miteinander zu einem eigenen politisch-ästhetischen Ideal verknüpft: am Ende des Agons steht -so das Beweisziel -nicht eine konservative und antimodemistische ,Vernunftwahr, sondern die Entscheidung für eine utopische Dichtergestalt, die die Vorzüge des Alten und des Neuen -des Elitär-Konservativen und des Demokratischen, des Archaischen und des Avantgardistischen -in sich vereinigt: ein ,neuer Aischylos'. II. Was den Verlauf des Agons bis zu seiner letzten Runde betrifft, so hat Dionysos eigentlich bereits alles gesagt, wenn er die Leistung der beiden Tragiker mit einem verzweifelten TOV jiev yap r\yo\>[iax oocpov, tcp 8' f|öoucci (1413), beziehungsweise dem noch pointierteren 6 uev aoax; durch ein zweites oo<; ersetzen wollte: dieser Vorschlag hat in der Tat einiges für sich, zerstört aber die gewollte Opposition zweier Begriffe, die an sich nicht zueinander in Widerspruch stehen dürften; vgl. auch die folgenden Ausführungen AiaxvXov 8' aipr|O0|iai -Der ,neue Aischylos' in den Fröschen des Aristophanes 131 Zur Klärung dieser Fragen hilft zunächst eine Betrachtung der jeweiligen Antwort der beiden Dichter auf die Frage nach ihren Ansichten zu Alkibiades; die Polis selbst hat dabei eine, wie Dionysos zu verstehen gibt, durchaus ambivalente Einstellung zu ihrem mißratenen, aber um so mehr geliebten Sohn (1425 f.). Euripides' Antwort ist eindeutig: er hasse den egoistischen Bürger, der nur auf sein eigenes, nicht aber auf das Wohl der Stadt hinarbeite; Aischylos' Antwort hingegen ist in der überlieferten Form kryptisch: nimmt man wie beispielsweise DelCorno (unter Athetese von 1431b) 1431a (oti %Ph Xiovxoc, oictiu.vov EV KöXEI ipepeiv) mit 1432 (T)V 5' EKTpatpfi TI?, xoi<; xpöjtoi«; üJCT|PET£IV) zusammen, so ist sprachlich nicht klar, ob die Verneinung oti xpr| aus 143 la in 1432 noch weiter gilt, ob also zum Widerstand gegen Alkibiades aufgefordert wird oder nicht; unklar bleibt die Stelle auch, wenn man statt dessen (unter Athetese von 1431a) 1431b (udXiata uev \io\ta \ir\ v nöXti tpwpeiv) -woran knüpft udAioTct an? -oder gar (ohne Athetese) beide Verse mit 1432 verbindet 3 . Ein ingeniöser Vorschlag besteht daher darin, 1431a im Anschluß an 1429 noch Euripides zu geben 4 : Aischylos' Sentenz (1431b-32) stellt dann eine geschickte Anknüpfung an Euripides' Worte mit ihrer anschließenden Neugewichtung dar 5 . Auch unter diesen Umständen ist allerdings zunächst nicht klar, was und wer in 1434 eigentlich genau mit aopfix; und ao<; gemeint sein soll; denn wenn bereits Euripides das Bild vom Löwenjungen verwendet hat, so ist Aischylos' Ratschlag weder klüger noch verständlicher als der seines Kollegen (und vice versa), so daß die denotativen Bedeutungen dieser Wertungen keine eindeutige Zuordnung an den einen oder den anderen erlauben 6 . Betrachten wir daher, um zu einer klareren Abgrenzung der jeweiligen Signifikatsbereiche zu gelangen, die weiteren Belege für aoi; 7 und oacp&x im Stück. V. 17 bezeichnet Dionysos mit aoqüouotTa in ironischer Weise platte Komödienwitze. In 766, 776 und 780 erfahren wir, daß ein Tnv TEXVTIV ocxprätepcx; den Dichterthron in der Unterwelt einnehmen solle; in 806, daß Aischylos den Athenern kein Urteil über seine Dichtung zutraue; in 872 und 886, daß es im Agon um ooepionata 3 So die Schol. vet. ad 1432: "|ifi dvaxpeipEiv (iߣßoi3Ä.£\>K£ uf| 5EXEC9CU ö SE AioxüXo? xoia\>xnv xtvä Sidvoiav, r\ (if| KaTa5E4ac©cu, r\ icaxa8E^anevo\)<; zpoxocpopeiv." Hier wird die Wendung TOI? ipöitoii; \>7tr)p£TEiv einmal als Aufforderung zu Passivität (xpowocpopEiv), einmal als Aufforderung zu Aktivität (xiGaoüoai) aufgefaßt. 4 Vorgeprägt von H. Erbse, in: Gnomon 28, 1956, 272 ff.; akzeptiert und entwickelt von Newiger 431 f.. hingegen in Dovers Edition von 1993 nicht übernommen. 5 Zu weiteren Implikationen dieser Stelle s. unten S. 142. 6 Das Problem empfinden offensichtlich auch die Schol. rec. ad loc., die als wenig überzeugende und kontextuell unpassende Erklärung für ,oai;' (.unklug', .ungeschickt') anbieten, offensichtlich, um einen Gegensatz zu konstruieren. 7 Vgl. hierzu auch Dover 10-15 sowie Dover (oben Anm. 20). Generelle Überlegungen zum ao uev oTSa Kai GeXco (ppä^eiv) besser zu einem eifrig eingreifenden 40 So hermeneutisch wohl am klarsten bei Sommerstein 1974 formuliert: "Dionysus Starts out with a strong prejudice in favour of Euripides (66 ff.), and even after the literary contest and the question about Alcibiades he is still undecided (1411 ff., 1433 ff.). There must be some explanation, even if it is not one that a rational person would think sufficient, for the completion of his reversal of view" (26).
doi:10.11588/propylaeumdok.00000471 fatcat:n4gqpwjasrb2fc73tey23pv5im