Geschichtliches über den Schmerz in Pathologie, Nervenphysiologie und Mentalität

Antoinette Stettier
1985 Gesnerus  
Einleitung Dem Schmerz, der zur Erfahrung jeden Lebens gehört, wurde selbstvcrständlieh schon in der Antike Aufmerksamkeit geschenkt. Er fand schließlieh seinen Platz im wohlabgerundeten galenischen System des Pneuma psychikon als Reizung des Tastsinnes, die im Herzen ihren Widerhall hat. D as Phänomen Schmerz wurde, eines unter vielen anderen, als Sinneserfahrung aufgefaßt und war an einem relativ unauffälligen Ort in das großartige Gebäude des psyc/io-p/iysto/ogisc/ien Mensc/iercfu/des
more » ... ttet. Um 1550 beginnt sich diese Anschauungsweise zu verändern. 1554 publizierte Jean Fernel unter dem Titel «Physiologia» seine Lehre von der Funktion des Menschen, die zwar immer noch Psychisches und Somatisches mitumfaßte, aber in der Titulatur eine Neuheit darstellte: Physiologiedie Lehre von der Funktion des Körpers. 1590 trat Rudolf Göckel mit einem Werk «Psychologia (hoc est de perfectione hominis)» an die Öffentlichkeit. Auch dieser Titel war ein Novum, auch wenn das Augenmerk, wie ersichtlich, nicht auf Psychologie im heutigen Sinne, sondern auf die sittliche Verbesserung des Menschen zielte. Diese beiden Titel sollen andeuten, daß mit der Namengebung die Gebiete des /Körpers und der Seele eigenständige [/nlersuchangsge-Znete zu werden begannen. Der körperliche und der seelische Bereich des Menschen wurden gesondert thematisiert. An der Thematisierung zweier bisher in der Generallehre des Pneuma psychikon verwobenen Erkenntnisbereiche läßt sich die Brüchigkeit der überlieferten Systematik ablesen. Die Thematisierungum im Bild zu sprechenwirkt sich wie ein Mikroskop aus, welches einzelne Untersuchungsgegenstände vergrößert, d.h. auch eigenständig erscheinen läßt. Physiologie und Psychologie beginnen, autonom zu werden. In diesen Zusammenhang gehört auch, daß das Phänomen Schmerz ebenfalls in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zum eigenen Thema wurde. Zur Bestätigung dieses Sachverhaltes sollen Dissertationen dienen, die in Straßburg und in Basel unter dem Vorsitz von Theodor Zwinger I verteidigt wurden. Es gelte auch, daß Felix Platter in seiner «Praxis» (Basel Gesnerns 42 (1985) 433-454 433 Downloaded from Brill.com01/05/2021 05:16:12PM via free access
doi:10.1163/22977953-0420304020 fatcat:qska4uwz55fuzejgagej7sr6ni