Zur Frage der Selbstinfektion
W. Zangemeister, F. Kirstein
1915
Archiv für Gynäkologie
I. Tell. (W. Zangemeister.) Es ist noch nieht ein Dezennium her, dass die grosse Mehrzahl der Geburtshelfer, insbesondere der geburtshilflichen Lehrer, den zu Beginn der Geburt in der Scheide vorhandenen Keimen eine Bedeutung fiir die Entstehung puerperaler Infektionen rundweg absprachen. Ging man doch so weir, den Geburtshelfer einer mangelhaften Asepsis zu beschuldigen, wenn eine seiner Obhut anvertraute Kreissende (sofern sic nieht se, hon vorher intra partum yon anderer SeRe innerlich
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... ucht worden war)naehher an einer puerperalen Infektion erkrankte. Lange Zeit waren die H~nde des Geburtshelfers, wei! sie naeh der Ansieht der meisten Autoren nieht keimfrei gemaeht werden kSnnen~ der an allem sehuldige Siindenbeck; und sie haben sieh an rigorosen DesinfektionsvorsehriRen reeht viel gefallen lassen miissen. Darin ist nun dureh Einfiihrung der Gummihandsehuhe Wandel gesehaffen worden. Die untersuchende Hand braueht w trotz anf~tnglieher Angriffe, die sich aueh gegen die Keimfreiheit der ausgekochten Gummihandschuhe wandten--heute nieht mehr herzuhalten; wenigstens kommt sie als 0ertliehkeit, yon der die Infektionskeime unmittelbar herstammen~ bei saehgem~sser Verwendung der Handsehuhe nieht mehr in Betraeht. Nun h/~tte man erwarten sollen, dass mit der Ausschaltung dieser Infektionsquelle~ der stets infektionsf~;higen Hand, dureh die Gummihandsehuhe die WoehenbettsmorbiditXt eine wesentlieh bessere werden wiirde. Diese Hoffnung hat uns aber griindlieh geti/useht, es kommen aueh heute noeh leiehte, sehwere, selbst t6dlieh verlaufende Puerperalinfektionen vor~ und zwar bei einer Archiv flir GynilkoIogie. Bd. 104. H. 1. 1 Zangemeister und girstein, Zur JCrage der Se]bstinfek~cion. nach wie vor streng durchgefCihrten Asepsis in kaum vermindefter Zahl 1). Woher stammen die bei Ausschluss tier Handkeime hier inBetrachtkommendenInfektionstr~ger? Sie kSnnen (abgesehen yon den seltenen Fgllen h~matogener Infektion) unmittelbar nut stammen: a) yon der Vulva, an der sic entweder sehon vorher haf-Ce~;en, oder an die sie wXhrend des Geburtsaktes herangebracht wurden. Von hier aus miissten sie dann his an die Eintrittspforte der Infektion sl?ontan aszendieren (mangels einer Eigenbewegung kann das nur dureh kapill/~re F1/issigkeits-str6me oder dadureh gesehehen, dass die Seheidenwgnde beim Pressen and anderen Gelegenheiten mit "~usseren Teilen in Beriihrang kommen) oder gelegentlich innerer Eingriffe (Touehieren, Operieren) kiinstlieh emporgesehoben werden. b) Aus der Vagina selbst, in die sie unmit~elbar vor Beginn tier Geburt oder friiher eingebracht warden. Die under a genann~e M6gliehkei~ wird yon Niemand bes~ri~fen; sie spielt zweifellos eine nieht unbedeutende Rolle, namentlieh dort, wo es siehtlieh zu Uebertragungen yon Infektionen in Entbin-dungsr~umen und dergleiehen gekommen ist. Umstritten ist aber die Frage, ob aueh die zweite Quelle (b), die Vagina mit ihren Keimen, in Betraeht kommt. Praktisch-d. h. im Hinblick auf die Prophylaxe-handel~ es sich dabei in erster Linie daram 7 ob den bei der Uebernahme einer Kreissenden dutch eine geburtsleitende PersSnliehkeit (jedoeh vor einer inneren Beriihrung) in der Seheide vorhandenen Keimen eine nennenswerte Bedeutung zukommt oder nieht. Spielen sie in der A etiologie der Puerperalinfektion naehweislich eine golle, so erhebt sieh die weitere Frage, wie sie bezw. warm sie yon aussen in die Seheide gekommen sind (denn yon aussen miissen ursprfinglieh alle stammen). Diese Trenmmg der Fragestellung ist meines Eraehtens der einzige Weg 7 ,ran in der Erforschung der Paerperalinfektionen weiter zu kommen. Es kommt dabei nieht auf Wortbezeiehnungen, son-1) Das musste besonder s auffallen: da wir in denselben Kliniken mit demselben aseptischen Apparat bei gynSokologlschen Operationen~ selbst bei den eingreifendsten, schwerere Infel~tionen l~aum mehr erleben~ sofern die F~llo nioht bereits infiziert sind. Zangemeis~er und Kirstein, Zur Frage der Selbstinfektion. 3 dern auf bestimmte Begriffe an. Damit komme ieh auf das ungltiekselige Gebiet der Nomenklatur derselben, die immer wieder dazu fiihr~, die Begriffe selbst zu verwisehen, zu versehieben. Nur mit einem gewissen Widerstreben kann man noah den Begriff "Selbstinfektion a anwenden, well er in versehiedener Art ausgelegt wird und daduroh oft zu saehlieh gar nieht vorhandenen MeinungsversehiedenheRen ftihrf. Es w/ira zweifellos yon Vorteil, diese Bezeichnung, wie Krtinig vorsehlug, ganz fallen zu lassen; aber das geht nieht. Wir benStigen einen Namen fiir die bier in Betraeht kommende Infektionsgruppe und sind bei Umgehung des Namens "Selbstinfektion a auf andere angewiesen, die zu Missdeutungen ebenso Anlass geben I wie Spontaninfektion, Autoinfektion, endogene Infektion usw. Ieh gebrauehe den Namen Selbstinfektion in dem praktiseh allein in Betraeht kommenden Sinn, nimlieh fiir solehe Infektionen, bei welehen die bei der Lagerung einer Kreissenden (vorausgesetzt, dass nieht sehon innerlieh untersueht worden ist) in der Seheide vorhandenen Keime als Erreger in Betraeht kommen. Das sind im Wesentlichen, aber nieht aussehliesslieh, diejenigen t{eime, welehe die Kreissende mit zur Geburt bringt. An diesen Begriff habe ich mieh in meinen diesbeztigliehen Arbeiten l) stets gehalten. Bumm und Sigwart2), mit deren Arbeit wir uns speziell zu besehltftigen haben, verlangen allerdings eine Einsehriinkung des Begriffes, die sieh weder theoretiseh, noe h praktiseh reehtfertigen 1/isst: nur ~,was die sehwangere Frau in ihrem Seheidensekret an Infektionskeimen 1/ingere Zeit beherbergt und mit zur Geburt bringt a, sell unter den Begriff der Selbstinfektion fallen. Damit sehliessen sie Infektionen mit solehen Keimen aus, welehe zwar zu Beginn der Geburt sehon in der Seheide vorhanden sind 7 welehe abet daselbst noeh nieht "1/ingere Zeit" anwesend waren. Eine solehe Einsehr/inkung ist willkiirlieh, da sie auf Voraussetzungen beruht, die noeh bewiesen werden miissen. Sie w/ira nur bereehtigt, wenn in die Vagina Sehwangerer importierte Infektionskeime naeh einer bestimmten Zeit mit Sieherheit unseh/idlich werden. Aber ganz abgesehen yon diesem Punkt, auf den ieh gleich 1) Dieses Archly. Bd.92. S. 123. --Miinchener med. Wochensehr. 1911. S. 1753. --Die bakteriologische Untersuchung im Dienste der Diagnostik usw. Berlin 1910. Karger. 2) Dieses Archly. Bd. 97. S. 6221 1"
doi:10.1007/bf01719176
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