Die Marquise von O... oder der Graf F..
[article]
Philippe Forget, Humboldt-Universität Zu Berlin, Humboldt-Universität Zu Berlin, Ernst Behler, Jochen Hörisch, Günter Oesterle
2017
Eine Struktur hat keine eigene Realität. Nur als Interpretation entspringt sie dem reflektierenden Bewußtsein, denn sie ist grundsätzlich unbewußt, und das reflektierende Bewußtsein, dem sie entspringt, kann nie alle Gründe nennen, warum es gerade diese Struktur hat aufdecken müssen, von der man im allgemeinen sagen kann, daß sie wie das Unbewußte strukturiert ist. Die zuletzt aufgedeckte Schicht 1 ist noch nicht die Grundschicht, auf der alles aufbauen würde. Eine solche Grundschicht gibt es
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... cht, denn es gibt die Schichten eines Textes nur insofern, als sie auf andere Schichten verweisen und sich demnach auch anderen Schichten verdanken. Mit den Schichten eines Textes verhält es sich also wie mit den Signifikanten bzw. Signifikaten, aus deren Geflecht die Textschichten bestehen. Eine Struktur vermittelt demnach keine von ihr unabhängige Bedeutung, sondern nur "Effekte", die erst im Nachhinein "Struktureffekte" genannt werden können. Solche "Struktureffekte" können erst beim Lesen sichtbar gemacht werden, erst dann werden sie bedeutungsfähig. Eine solche Kurzdarstellung setzt eine Auseinandersetzung mit den traditionellen Begriffen voraus, die hier möglichst knapp wiedergegeben werden soll, weil sie die Wiederholung der diesbezüglichen Ausführungen bei der Interpretation einer Textstelle aus der Marquise von O .. ., die Gegenstand dieser Studie ist, an gegebener Stelle entbehrlich macht. Man könnte zunächst meinen, daß hier eine * Ausgearbeiteter Text des Vortrags, den ich am 4. April 1991 am Department of Germanics der University of Washington in Seattle gehalten habe. 1 Struktur geht auf struere zurück, dessen Grundbedeutung auf geordnete Weise aufeinander schichten ist. Daran sieht man, wie metaphysisch das Wort angelegt ist, da es die Vorstellung von einem tragenden Grund und einer Höhe als Leistung eines ordnenden Willens erweckt. Eine angemessenere Vorstellung wäre die von sich horizontal überschneidenden Schichten, die sich erst durch das Überschneiden konstituieren.
doi:10.18452/5571
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