Ueber Abortivkuren der Syphilis durch kombinierte Quecksilber–Salvarsanbehandlung
Ed. Arning
1911
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Im ganzen sind auf meiner Abteilung im Allgemeinen Krankenhause St. Georg, Hamburg, und in meiner Privatpraxis rund 1600 Fille mit Salvarsan behandelt, das Mittel also über 3000 mal angewendet worden. Dic Versuchszeit begann im Juli 1910 an ausgesuchten Fällen. Vom November 1910 an habe ich die generelle Anwendung des Salvarsans angeordnet für alle Syphiliskranken meiner Abteilung. , Die von mir geübe simultane Anwendung des Salvarsans und Quecksilbers, des letzteren meistens in Form von
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... kuren, hat sich nach mancher Richtung, besonders in der Krankenhausbehandlung, bestens b3währt und ist trotz absprechender Kritik außenstehender Kollegen beibehalten worden. Es ist ohne weiteres einleuchtend., daß, falls wir nach einer Reihe von Jahren einen besseren Einfluß auf dio Syphilis nachweisen können als bei der früheren ausschließlichen Quecksilberbehandlung, dieses Plus auf Konto des Salvarsans zu setzen ist. Anderseits kommt es mir bei der Behandlung meiner Syphiliskranken darauf an, eine niöglichst intensive Behandlung möglichst früh einzusetzen, und der Eindruck ist jetzt, nach einer mehr als ein Jahr dauernden Anwendung unserer Kurmethode, so günstig, daß ich vorläufig bei dieser Methode bleiben werde. Sobald die Diagnose Syphilis feststeht, schon auf Basis des positiven Spirochaeta pallida-Befundes allein, auch bei noch negativer Wasrnrmannscher Reaktion, beginnt die gemischte Behandlung: Hg-Schmierkur, 4-6 g pro die und Salvarsan, 1,0 für erwachsene Männer, 0,8-0,9 für Frauen; für Kinder und Säuglinge entsprechend. reduzierte Dosen. Die Salva rsaneinverleibung geschieht durch intravenös e Infusion 0,3-0,4-0,6 der schwa?h alkalisierten Lösung in täglich frisch destilliertem Wasser 1-0,6 Natr. chlorat., 200 cern und in einer intramuskulären Injektion von saurer Lösung in möglichst kleiner, konzentrierter Menge. Wir injizieren 0,6 Salvarsan mit vier Tropfen Glyzerin und. 4 cern heißen dcstillierten Wassers gelöst, mit feiner Nadel tief in die Muskeln und weit oben außen am Becken (Duhotscher Punkt). Gangrän sahen wir nie. Wenigstens nicht bei Erwachsenen. Bei mageren Säuglingen ist es in drei Fällen zur Nekrose der Haut gekommen. Schmerzen schi verschieden, häufig überhaupt fast keine, meistens am vierten bis fünften Tage mehr oder weniger heftig. Während ich früher zuerst die intravenöse infusion und fünf bis sechs Tage später die Injektion der sauren Lösung machte, lasse ich jetzt die D. potbehandlung vorangehen. Verschiedene Erwägungen haben mich dazu veranlaßt. Erstens hat sich aus den in unserem Krankenhause ausgeführten Versuchen Bornstein1) ergehen, dalI auch die infusion eine Depotbehandlung darstellt, insofern die großen Eingeweideparenchyme das Salvarsan aufspeichern. Es ist somit das Raisonnement und die Befürchtung hinfällig, daß Depot als erstes und Infusion als zweites gefährlicher wirken könnte als i) Deutsche medizinische Wochensehrift 1911, No. 3. umgekehrt, weil vielleicht aus dem Depot in der Muskulatur und der nachfolgenden Infusion zu gleicher Zeit das Salvarsan frei werden und dann in zu großer Dosis wirken könne. Weitei haben die kühnen großen Dosen mancher Versucher gezeigt, daß auch für diesen Fall unsere Gesamtdosis von 1 g die Maximaldosis 'nicht erreicht. Zweitens aber, und das ist ein rein praktischer Grund, erscheint es zweckmäßiger, das entschieden außerordentlich wirksame saure Depot am Anfange des Krankenhausaufenthaltes zu geben, weil im Falle auftretender Schmerzen und vorübergehender Bewegungsbeeinträchtigung de s Beim s dieses Stadium im Krankenhause abgemacht wird und nicht, wie wenn das Depot am Schlusse der Behandlung gegeben wird, zu einer Arbeitsbeeinträchtigung beim Abgange führen kann. Wir beginnen also jetzt gleichzeitig mit Quecksilbersehinierkur und der muskulären Injektion der ganz konzentrierten sauren Lösung und schließen am zehnten Tage die intravenöse Infusion an. Am 14.-16. Tage durchschnittlich verlassen dann die Kranken, frei von Krankheitssymptomen, und fast alle ohne Beschwerden seitens des Depots, das Krankenhaus. Sic erhalten bei der Entlassung eine mündliche Belehrung iibcr ihre Krankheit und die Weisung, sich nach Ablauf von zehn bis zwölf Wochen wieder vorzustellen. Dann erst wird neben dci klinischen Nachuntersuchung auch das Blut wieder serologiseli geprüft. Vor Ablauf dieser Zeit die Wasseirnannprobe anzestellen, hat sich uns als nicht zweckmäßig erwiesen, da die Resultate vorher weniger günstig sind. Leider ist die Zahl der sich zur Nachuntersuchung wieder Vorstellenden verhältnismäßig ungemein klein. Gerade das fluktuierende seefahrende Element, das einen so großen Prozentsatz der Kranken meiner Abteilung bildet, ist schwer zu einer Nachkontrolle zu verwenden. Alle zwei bis drei Monate werden gedruckte Formulare an die von den Kranken angegebenen Adressen versendet unter verschlossenem Briefkuvert, des Inhalts, sie möchten sieh zu einer Nachuntersuchung im Krankenhause melden. Der größte Teil dieser Aufforderungen kommt von der Post als unbesteilbar zurück. Besser sind dic Nachprüfungsbedingungen bei meiner weiblichen Station, trotzdemii sie die leichter zu kontrollierenden Puellen nicht einschließt, sondern im wesentlichen Dienstmädchen, Verkäuferinnen unid in der Ehe infizierte Frauen enthält. Ebenso ist natürlich auch die Privatpraxis in bezug auf die Nachkontrollierung der erreichten Resultate recht brauchbar. Ich will nun in kurzem über die Erfolge der Ahortivkuren berichten, die wir bei primärer und frisch sekundärer Syphilis erreicht zu haben hoffen, soweit wir dies durch kunische und serologische Nachprüfung kontrollieren können. Es gelten für diese Zählung also nur solche Fälle, die imit Primäraffekten allein oder mit Primäraffekten und ersten sekundären Erscheinungen zur kombinierten Salvarsan-Quecksilberbehandlung gekommen sind. Leider sind aus der über 500 Fälle zählenden Kategorie dieser Kranken nur 71 zur Nachuntersuchung gekommen. Diese Nachuntersuchung ist im Durchschnitt vier Monate nach der Behandlung vorgenommen worden, der längste Termin betrug elf Monate. Eine ganze Reihe von Patifl nten sind mehrfach kontrolliert worden. \Ton den 71 nachuntersuehten Fällen waren 45 Fälle reiner primärer Syphilis, also Patienten, die im zweiten Latenzstadiuni zur Behandlung kamen; 26 hatten neben dein Prirnäraffekt schon ciste Sekundärersclieinungen. Das wahrhaft Ueberrasehende aber ist, daß alle diese 7]. Nachuntersuchten frei von jedem klinischen Symptome von Syphilis, in trefflicher Allgemeingesundheit und bei der serologisehen Untersuchung Wassermann negativ gefunden wurden. Das ist für jeden Unbefangenen, der sine ira et studio sein Material kritisch prüft, ein durch Quecksilber allein oder Quecksilber und. Jod nicht erreichbares Resultat. Und ea ist auch wohl ohne Zweifel eine Schlußfolgerung erlaubt, die sich auf das nicht zur Nachrevision gekommene, im Friihstadium behandelte Material bezieht. Wenn alle 67 wieder untersuchten Fälle klinisch und serologiseh frei befunden worden sind, ohne eine einzige Ausnahune, so wird man doch sicherlieh folgern dürfen, daß auch eine große Zahl, wenn nicht die Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.
doi:10.1055/s-0028-1130974
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