Zwischen Wahrheit und Richtigkeit : zu F. Böckles moraltheologischem Konzept
Josef Georg Ziegler
2015
Moraltheologie ist als theologische Handlungstheorie »von ihrem Wesen und ihrer Aufgabe her . . . eine unruhige Wissenschaft, die sich selber ständig zu überprüfen hat«* 1. Bereits .ein flüchtiger Blick in die Geschichte bestätigt diese auf den ersten Blick unerwartete Feststellung. Der jeweils durch die wechselnde Fragestellung und den wissenschaftlichen Fortschritt modifizierte Erkenntnisstand ihrer beiden Quel len, Vernunft und Offenbarung, sowie die sich ändernde Aufgabenstellung durch die
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... nkonstanten Zeitverhältnisse lassen sie nicht zur Ruhe kommen. So ist es verständ lich, daß jede Generation, wie unschwer literarisch zu belegen ist, meint, sie stehe in einer entscheidenden Umbruchsituation. Unsere Generation macht davon keine Ausnahme. Sieht man von notwendigen verbalen Innovationen ab, vollzieht sich der Umschwung im prinzipiellen Bereich jeweils in einer Akzentverlagerung zwischen Glauben und Wissen. Die Verhältnisbestimmung zwischen dem positiv göttlichen Gesetz in der Interpretation der in der Heiligen Schrift enthaltenen Offenbarung und dem sittlichen Naturgesetz in der Erhebung und Sinndeutung der dem Menschen und der Menschheit universal gültigen Vorgegebenheit variiert. Die von dem Bonner Moraltheologen F. Böckle (B.) vorgelegte »Fundamentalmo ral« bestätigt diese Aussage. »Wir müssen die Fundamente einer theologisch-ethi schen Theorie auf dem Hintergrund der geistesgeschichtlichen Situation neu zu be gründen versuchen. Um dieses umfassende Anliegen zum Ausdruck zu bringen, sprechen wir nicht von einer Prinzipienlehre, sondern von einer fundamentalen Mo raltheologie (Fundamentalmoral)« (15)2. Herkömmlich spricht man im Unterschied zur »Speziellen Moral«, der Konkretisierung in den einzelnen Lebensbereichen, von »Allgemeiner Moral«, von »normae generales«. Sie unterzieht vorrangig die allen Handlungen gemeinsamen vier Aufbauelemente Freiheit, Gewissen, Gesetz, Verhal ten einer reflexen Analyse. Deshalb wurde der argumentativen Grundlegung des * F. Böckle, Fundamentalmora), München 21978. 338, kart. DM 2 6 ,-1 J. G. Ziegler, Moralgeschichte: LThK2 VII, 618. 2 Den Ausdruck »Fundamentalmoral« gebraucht G. Ermecke, in: J. Mausbach/G. Ermecke, Katholische Moraltheologie I. Münster lT 9 5 9 ,1 -18. Er versteht darunter die Lehre von den Grundlagen des sittlichen Handelns. tragenden Systems, ob final, kausal oder normativ, nicht immer der gebührende Stellenwert eingeräumt. Nachdem die Intentionen von B. benannt worden sind (I), wird der Inhalt seiner Ausführungen angezeigt (II). Einige Bemerkungen dazu werden angefügt (III). Zwischen Wahrheit und Richtigkeit 223 I. Die Intentionen B. will »eine Vorstellung der Grundstruktur einer 'renovierten' Moraltheologie wagen« (11). Unter Berufung auf die auch im II. Vatikanischen Konzil aufgegriffene »anthropologische Wende« der Theologie wurde »'Glaube und Handeln' unter dem speziellen Aspekt der Öffentlichkeitsgeltung der christlichen Botschaft. . . zum zen tralen Thema der Moraltheologie« (18). »Man überlegt, worin der spezifische Bei trag einer christlichen Ethik liege; man prüft aber auch, wie in fundamentalen Aussa gen zur Güter-und Normenlehre ein breiter gesellschaftlicher Konsens zu gewinnen sei« (11). Folgerichtig »wendet sich Böckle offensichtlich weniger nach innen, an die eigenen Fachkollegen, als vielmehr nach außen«3. Das Werben um den außerkirchli chen ethischen Diskurs wird konsequent durchgeführt. »Das christliche Ethos -so wurde dargelegt -solle und wolle keine trennenden Unterschiede aufrichten, son dern vielmehr einer Ordnung universalen Konsenses dienen« (324). Bei der Aufbereitung der im guten Sinne angezielten »Allerweltsmoral« steht ne ben der von B. nicht behandelten Problematik von individueller Freiheit bei kollek tiver Gleichheit die hermeneutische Frage, auf welchem Wege eine möglichst breite Übereinstimmung über ethische Verhaltensregeln erreicht werden kann, im Vorder grund. Die Antwort lautet: Auf dem Wege vernunftgemäßer, plausibler Reflexion, die allen Menschen verständlich gemacht werden kann und daraufhin die Kommunikabilität der gewonnenen Verhaltensdirektiven ermöglicht (233f., 290 f.). Daß das Sittlichkeitsgesetz ein Vernunftgesetz ist, wußten die Moraltheologen seit Thomas (234). Die Definition von B. überrascht nicht: »Wollte man unseren Entwurf einer Fundamentalmoral unbedingt unter einem Sammelbegriff fassen, dann könnte man noch am ehesten von einer theologisch begründeten realistischen Vernunftethik sprechen« (304). Was überrascht, ist die Durchführung des Vorhabens. Die »Moral der Offenbarung (verstand sich) als die wahre Vernunftmoral. . . Gerade dies berechtigt uns, ja macht es notwendig, die Grundfragen von der ethischen Theorie her zu stellen und dann 3 H. Halter, Fundamentale Moraltheologie (Rezension): Renovatio 34 (1978) 191. Eine verbale oder ledig lich rational bzw. pragmatisch motivierte Zustimmung zu einem Verhaltenskodex genügt nicht. Das be weist im politischen Raum die verschiedene Interpretation und Realisierung der KSZE-Akte von Helsinki. Selbst in der ökumenischen Verständigung wird diese Einsicht zu wenig beachtet. F. von Lilienfeld, Identi tätsfindung im Dialog. Überlegungen zu den lutherisch-orthodoxen Gesprächen: Una Sancta 35 (1980) 149: »Ein ganz wichtiger Punkt im Dialog der Kirchen verschiedener Tradition is t. . . die theologische An thropologie«. Er verweist auf die im Gefolge der jeweiligen Erbsündenlehre differierenden Ansichten über die Entscheidungsfreiheit der Menschen, den Synergismus-Streit, das Verhältnis zur Welt. Vgl. dem gegenüber den ökumenischen Versuch in A. Hertz u. a. (Hrsg.), Handbuch der christlichen Ethik I. II, Frei burg-Gütersloh 1978.
doi:10.5282/mthz/3111
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