Erfahrungen über Prostatektomie1)

Alfred Cahn
1909 Deutsche Medizinische Wochenschrift  
Im folgenden möchte ich über klinische Erfahrungen und histologische Untersuchungen eines Materials von 40 suprapubisehen Prostatektomien berichten, die von Herrn Prof. Israel teils im Krankenhause, teils in der Privatklinik ausgeführt worden sind. Das Alter der Patienten lag zwischen 50 und 80 Jahren. Die Beschwerden, liber die sie fast durchweg seit vielen Jahren zu klagen hatten, bestanden in schweren Störungen der Harnentleerung, die zu vorfibergehendem, meist jedoch dauerndem
more » ... ch geftihrt hatten. Infolgedessen waren die meisten infiziert, nur bei einer kleinen Anzahl konnten wir klaren Urin feststellen. Fast alle hatten mehrere komplette Retentionen hinter sich, alle beherbergten in der Blase große Mengen von Residualharn. In einem Falle, auf den ich später zu sprechen komme, bildeten spontane Hämaturien die einzigen Beschwerden. Erheblichere Hämaturien hatten außerdem noch drei andere Patienten, deren Prostatahypertrophie jedoch mit Blasensteinen kompliziert war. Die Kombination von Prostatahypertrophic und Blasensteinen ist ja eine häufige und verständlich durch die tiefe, hinter dem Prostatawulst vorhandene Ausbuchtung des Blasenbodens, in der die Möglichkeit zur Konkrementbildung infolge Urinstauung und Cystitis leicht gegeben ist. So litten von unseren Patienten 30 0/0 an Blasensteinen. Ein Drittel sämtlicher Patienten hatte in früherer Zeit Operationen an den Urogenitalorganen durchgemacht. So wurden bei einem vier Blasenpunktionen ausgeführt wegen kompletter Retentionen und der Unmöglichkeit des Katheterismus. Einer machte sechs Lithotripsien durch, einer eine Sectio alta wegen Steinverdachts, ein anderer sieben Lithotripsien und Sectio alta. Bei einem 78 jährigen Patienten war 10 Monate vorher die Sectio alta zwecks Entfernung von Blasensteinen gemacht worden. Seitdem etablierte sich eine Fistel, die man acht Monate später durch eine Operation zu schließen versuchte. Der Versuch mißlang, da infolge Prostatahypertrophie die Harnentleerung sehr erschwert war. -Die doppelseitige Kastration war bei einem Patienten vorgenommen worden, doppelseitige Vasektomien bei zweien. In einem Falle war bei einer vor neun Monaten ausgeführten perinealen Prostatektomie der Mittellappen zurückgeblieben, der später von uns suprapubisch entfernt wurde. Bei zwei Patienten war die Bottinisehe Operation und doppelseitige Vasektomie vorangegangen, bei einem die Urethrotomia externa und Sectio alta wegen Blutung und eine Lithotripsie. Ein Patient hatte zwei Lithotripsien und vor einem Jahr eine suprapubische totale Prostatektomie durchgemacht. Dieser Fall bietet erhöhtes Interesse. Es handelte sich um einen 72 jährigen Mann, der seit 14 Jahren an Dysurie, inkompletten Retentionen und Hämaturien litt. Seit acht Jahren bestand komplette Retention. Im Februar 1907 wurde von Herrn Prof. Israel die totale suprapubische Prostatektomie ausgeführt. Der Erfolg der Operation war zunächst ein vollkommener, Patient konnte nach zweimonatlicher Rekonvaleszenz mit spontanen, 3-4 stündlichen Miktionen und ohne eine Spur von Restharn entlassen werden. Genau ein Jahr später stellte er sich wieder vor, da er seit einigen Tagen über Dysurie zu klagen hatte. Die zystoskopische Untersuchung ergab einen Stein und das Bild eines stark entwickelten mittleren Lappens. Nach Eröffnung der Blase sah man in der Tat eine stark ausgebildete, retrourethrale Prostata in die Blase promi-1) Nach einem in der Freien Vereinigung der Chirurgen Berlins am 14. Dezember 1908 gehaltenen Vortrag. nieren. Die neugebildete Drüse wurde genau wie die erste enukleïert und hatte ein Gewicht von 23 g. Der 72 jährige Patient hat übrigens die zweite Prostatektomie ebenfalls gut überstanden und konnte mit normalen Blasenfunktionen entlassen werden. Auch heute, 10 Monate nach der Rezidivoperation, ist er beschwerdefrei. Rezidive, die zur Zeit partieller Prostataresektionen nichts Seltenes waren, sind auch nach totalen Prostatektomien beobachtet worden. So konnte Freudenberg auf dem vorjährigen Chirurgenkongreß über drei Fälle berichten, in denen sich mehrere Monate nach der totalen Prostatektomie neue Prostatae entwickelt hatten. André (1) nimmt zwar auf Grund der Untersuchungen von Albarran und Motz (2), die in einem Zehntel der klinisch als Prostatahypertrophie bezeichneten Fälle karzinomatöse Veränderungen gefunden hatten, an, daß Rezidive nur bei Karzinoni, nicht bei einfacher Hypertrophie vorkommen, doch scheint mir diese Annahme nicht berechtigt zu sein. Wie die mikroskopischen Schnitte zeigen, handelt es sich bei der Prostatahypertrophie um eine von den Drüsenepithelien ausgehende Neubildung, um wahres Adenom. Es braucht daher kein Zeichen bestehender Malignität zu sein, wenn aus zurückgebliebenen, der Kapsel adhärenten Drüsenresten sich ein neuer adenomatöser Tumor entwickelt. Daß es sich auch in unserem Falle um ein einfaches Adenom, nicht um Karzinom handelt, zeigen Fig. 2 und 3. Was die Indikation zur Operation anlangt, so sind für uns folgende Gesichtspunkte maßgebend. Wir raten zur Operation 1. bei erheblichen Störungen der Harnentleerung, wenn wir sie durch konservative Behandlung nicht auf ein erträgliches Maß reduzieren können. Dazu gehören Fälle, in denen der Katheterismus nicht zum Ziele führt, sei es daß der Residualharn nicht beseitigt oder auf ein geringes Quantum herabgebracht werden kann, sei es daß pyelitische Attacken als Zeichen aufsteigender Infektion in Erscheinung treten, oder daß drittens, trotz 2-3 maligem täglichen Katheterismus, die Dysurie und Blasentenesmen nicht zu beseitigen sind. Besonderes Gewicht legen wir auf die Verhältnisse des Restharns, der nicht nur die Gefahr der aufsteigenden Infektion, sondern auch der kompletten Retention mit sich bringt. Gelingt es trotz regelmäßigem Katheterismus nicht, seine Menge auf 100 bis höchstens 150 g zu beschränken, so raten wir zur Operation, besonders wenn, wie meist, erhebliche subjektive Beschwerden bestehen. Zu dieser Gruppe der Störangen der Harnentleerung gehören Fälle, bei denen ein dauernder Katheterismus unmöglich ist, sei es daß derselbe mit Blutungen oder erheblichen Schmerzen verbunden ist, sei es daß er infolge Strikturen oder Fausses-routes der Harnröhre unausführbar ist, oder daß drittens soziale Verhältnisse der dauernden Anwendung des Katheters lin Wege stehen. So waren wir bei einem Patienten mit kompletter Retention, bei dem außerhalb der Katheterismus erfolg. los versucht worden war, gezwungen, wegen einer nicht umgehbaren Fausse-route zunächst eine Fistula suprapubica anzulegen, der die Prostatektomie 14 Tage später folgte. Ein ungestörtes Katheterleben gibt als solches keine Anzeige zur Operation. Die 2. Gruppe von Symptomen, die die Operation indizieren, sind Hämaturien schwereren Grades, die auch ohne wesentliche Störungen der Harnentleerung und ohne jede äußere Veranlassung auftreten können. Ein Beispiel dafür bot ein 72jähriger, an Diabetes leidender Patient, der seit einigen Jahren an spontanen Hämaturien litt. Bei dem Patienten war 14 Tage vor der Aufnahme von anderer Seite die doppelseitige Vasektomie ausgeführt worden. Am Abend vor der Operation konnten wir beobachten, wie der Kranke, ohne jede äußere Veranlassung, 150 ccm reinen Bluts aus der Harnröhre entleerte. Dieser Vorgang wiederholte sich am Morgen des Operationstages. Auch Freyer (3) berichtet über mehrere Fälle, bei denen er lediglich wegen schwerer Hämaturien die Operation ausführte. Die spontanen Blutungen bei Prostatahypertrophie stammen übrigens so gut wie nie aus dem Prostatagewebe selbst, sondern aus anderen Teilen des Tractus urogenitalis, wie den Nieren, Nierenbecken, Ureteren, vor allem aber aus den geschwollenen Venen, die, wie wir häufig zystoskopisch sehen b7 8 DEIJTSCKE M1EDIZINISCT1TI WOCHENSORBJFT. No. 13 Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. 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doi:10.1055/s-0029-1201368 fatcat:ghqv25yw3jgxhcqyowiogheovq