2. KAPITEL: DAS DILEMMA DER AMERIKANISCHEN SICHERHEIT
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1974
Kernwaffen und Auswärtige Politik
KAPITEL DAS DILEMMA DER AMERIKANISCHEN SICHERHEIT I Eine der schwierigsten Aufgaben, vor die sich eine Nation gestellt sieht, ist die richtige Deutung der Lehren, die sich aus ihrer Geschichte ergeben. Denn die Lehren der Geschichte sind wie alle Lehren, die man aus der Erfahrung zieht, durch besondere Umstände bedingt; sie zeigen wohl, welche Folgen gewisse Handlungen nach sich ziehen, überlassen es aber jeder einzelnen Generation, selbst zu bestimmen, welche Situationen miteinander
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... r sind. Solange eine Entwicklung allmählich vor sich geht, ergeben sich keine besonderen Probleme. Neu auftauchende Fragen sind den früheren wenigstens so weit ähnlich, daß selbst nicht ganz zutreffende Analogien eine gewisse Geltung besitzen. Ganz anders aber verhält es sich, wenn Ereignisse eintreten, für die noch keine Erfahrungen vorliegen. Dann kann gerade ein Erfolg in der Vergangenheit dem Verständnis für die Gegenwart im Wege stehen. Eine Zeit beispielloser Erfolge kann die Auseinandersetzung mit einer Periode möglicher Mißerfolge erschweren. Die Tatsache, daß bisher jede Frage schließlich eine endgültige Lösung gefunden hat, kann der Erkenntnis im Wege stehen, daß von nun an nur noch Teillösungen möglich sind. Dieses Problem läßt das militärische Denken Amerikas seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr los. Man kann es als das Dilemma bezeichnen, das zwischen der Suche nach einer absoluten Lösung und der Furcht vor den Gefahren des Atomzeitalters, zwischen der Erkenntnis unserer ungewöhnlich großen Verwundbarkeit und unserer Auflehnung hiergegen besteht. Da wir zwei Weltkriege dadurch gewonnen haben, daß wir unseren Gegner in der Produktion überflügelten, sind wird geneigt, militärische Überlegenheit mit Reichtum an Hilfsquellen und technischem Können gleichzusetzen. Und doch zeigt die Geschichte, daß ein überragendes strategisches Denken mindestens ebenso oft zum Siege geführt hat wie materielle Überlegenheit. Im Jahre 1940 setzte eine überlegene Doktrin die Deutschen in den Stand, eine zahlenmäßig stärkere und mindestens gleichwertig ausgerüstete, aber einer veralteten Strategie anhängende Armee der Alliierten zu schlagen. Die Siege Napoleons wurden hauptsächlich durch eine größere Beweglichkeit und einen besseren Einsatz der Artillerie sowie ein besseres Zusammenspiel zwischen Feuerregelung und Truppenbewegung errungen. Weitere Beispiele bilden die Überlegenheit der römischen Legionen über die mazedonische Phalanx und die der englischen Bogenschützen über die mittelalterlichen Ritter. Alle
doi:10.1515/9783486817300-004
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