Die Bedeutung der Schweissabsonderung bei den acuten Infectionskrankheiten2)

G. B. Queirolo
1888 Deutsche Medizinische Wochenschrift  
in Genua. Die alte Medicin war der festen Ueberzeugung, (lass der Schweissahsonderung eine bedeutende Rolle hei der Heilung der acuten Infectionskrankheiten zukomme; sie glaubte, dass durch diese Hautthätigkeit schädliche Substanzen, die Materia peccans, aus dem Organismus eliminirt würden; in Folge dessen wurde auch die Diaphorese bei den Kranken nach Kräften gefördert. Ich werde mich hier nicht des Näheren über die historische Entwickelung der Bedeutung des Schweisses bei der Behandlung der
more » ... uten Krankheiten einlassen; wenige Citate. wie sie mir zufällig in alten medicinisehen Werken aufstiessen, mögen genügen, zu zeigen, wie die Aerzte in früheren Zeiten von der Nothweudigkeit. die Kranken reichlich schwitzen zu lassen, tief überzeugt waren. Labes decedit, ant quidquid impuri, noxiique inest, per excretiouem urinae, sudoris, sputi, vomitus, febrisque eva.nescit. So schrieb Borsieri in dem Capitel: IJeher das Fieber. Und in dem Capitel ilber: Ephemera rnaligna bekräftigt er seine Behauptung noch ausdrücklicher mit den Worten: Experientia edocemur non alia quam spontanea cutis excretione ma.lignum virus, unde huiusmodi febris nascitur, melius, certiusque expelli: sudores euim quocumque modo imminuti. abrupti ant supp:essi, mortem certissime afferunt. Solches hatte die ausgezeichneten alten Beobachter die Erfahrung gelehrt. Und Frank, indem er diesen Gedanken Borsieri's wiedergiebt, behauptet mit der grössten Sicherheit, dass bei hartnäckigem Nervenfieber die geringste Unterbrechung der Hautausscheidung ganz sicher den Tod des Kranken beschleunigt. 1) So wieder am heutigen Tage durch herrn Co]legen Lauenstein aus Hamburg, der zugleich die durch den Zollanschluss diefirte wichtige Frage nach der Verwendbarkeit von deiiaturirtem Spiritns für misera Methode anregt. Ich stehe einstweilen nicht an, diese Frage gleichgültig, ob llolzgeist oder Pyridinbasen benutzt werden -zu bejahen, und gedenke auf diesen Punkt bei besonderer Gelegenheit zurückzukommen. 2 Nach einem in der R. Accademia medica zu Genua gehaltenen Vortrage. Man hat diese Methode, die Kranken schwitzen zu machen, auch vortheilhaft gefunden bei der "fehris pestilentialis" , indem die Aerzte l)emüht waren, die rasche Ausstossung des Contagiuws durch die Poren der Haut zu geeigneter Zeit zu fördern. Der Gedanke der Ausscheidung des Krankheitsstoffes durch chie Haut beherrschte also den Geist der Aerzte bei der Behandlung der feljerhaftei. Krankheiten, jener Krankheiten nämlich. die wir heute Infec tioriskrankheiteii ri ennen. Aber diese Idee verdunkelte sich nach und nach mit dem Verschwinden der Lehren, welche die Krankheit als den Ausdruck eines vorn Organismus gegen ein mahignum virus bestandenen Kampfes betrachteten, und ging fast vollends verloren nachdem der letzte Rest jener Lehre erloschen war, nämlich als man die Krankheiten als den Ausdruck einer örtlichen Veränderung, als die ausschiiesshichen Wirkungen der Störungen zu betrachten begann , die in der Beschaffenheit des Organs vorkamen, in welchem man die Liision vorzugsweise antraf; als endlich die Auffassung der Krankheit als ein für sich bestehendes krankhaftes Wesen im Sinne der Alten ezidgiltig abgethan war. Auch erstand dieses im Geiste und in der Ueberzeugung der alten Aerzte so fest wurzelnde therapeutisch& Criterium nicht in diesen letzten Zeiten, in denen die Anschauungen über das Wesen der Krankheiten in Folge des experimentellen Nachweises von dem Vorhandensein des infectiösen Agens, der materia peccans, der labes der Alten, sich wesentlich geändert haben: vollständige Wiederkehr zu den ältesten Anschauungen über das Wesen der . Krankheiten. Durch die neue Lehre wurden die auf die Lehren der untergegangenen Sch nl e gegründeten I\Iethod en und therap eutischen Criterien nach und nach umgestürzt, und die Anschauung von einem Kampfe zwischen der Krankheit und dem Organismus, der sich von dem Feinde, der ihn angegriffen, zu befreien strebt, erstand neuerdings : einerseits die natürliche Reaction des Organismus, der Kampf zwischen den Zellen (Pha.gocyten) und den Mikroben, in welchem der Schwächere unterliegt; andererseits die künstlichen Mittel, die man zur Unterstützung des Organismus herbeizuschaffen sucht, um ihm hei der Vernichtung der Feinde. die ihn in unendlicher Anzahl anfallen, beizustehen. Nichtsdestoweniger wurde (lie grosse Rolle, welche die Alten dem Schweisse in diesem Kampfe zuschrieben, nicht mehr anerkannt und die Diaphorese nicht mehr zu Ehren gebracht. Man bewies, dass im Schweisse keine Krankheitskeime vorhanden seien, und das, was nicht dazu beitrug, den Organismus you dem Material, welches die Krankheitsursache darstellt, zu befreien, konnte vom ätiologisohen Gesichtspunkte logischerweise keine Wirksamkeit bei der Behandlung der Krankheit selbst haben. Die Idee der Vernichtung des lnfectiousstoffes hatte bisher die Oberhand über den Begriff seiner Ausscheidung. Aber in eine neue Phase sind schon unsere Anschauungen getreten über den Wirkungsmechanismus und über die Infectionsstoffe bei der Erzeugung d er verschieden en Krankh eitspliänomene. Die Ursache der krankhaften Erscheinungen können die Bacte'rien selbst sein, die, einmal in den Blutkreis eingedrungen, auf die Geweheselemente einwirken und daselbst ihre biologische und chemische Thätigkeit entfalten; die Ursache aber liegt oft in giftigen chemischen Substanzen. welche die Bacterien in dem Organismus erzeugen und dem Blute abgehen. Bei verschiedenen Krankheiten ist schon der objective Beweis hierfür erbracht worden.
doi:10.1055/s-0029-1208730 fatcat:zr4dyincmrh7pljhn35cn5rs4i