DER HERR DER WELT? Joe Mays Abenteuer in Großbritannien
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Geoff Brown
2019
Filmpionier und Mogul
Was ist das Wichtigste an der Überschrift dieses Beitrags? Nicht die Substantive oder die Aussage, auch nicht der Name Joe May, sondern: das Fragezeichen! Joe May, der Regisseur von Ausstattungsspektakeln des Weimarer Kinos wie Die Herrin der Welt, war ein Meister des deutschen Kinos -ein oft populärer und einfallsreicher Meister, dessen Filme die Vorliebe des Kinopublikums im Nachkriegs-Deutschland für eskapistische Abenteuer an exotischen Schauplätzen bedienten. Doch wurde er in den 20 Jahren
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... seines Exils je ein Meister in Hollywood? Nein. Verglichen mit Billy Wilder oder seinen früheren Mitarbeitern Fritz Lang und Kurt Bernhardt muss May im Exil als Verlierer gelten, als einer derjenigen, die vom Schicksal, durch Pech oder aufgrund einer unnachgiebigen Persönlichkeit dazu verdammt waren, auf den niederen Rängen Low-Budget-Vehikel für die Dead End Kids zu drehen, wenn sie nicht untätig auf das Klingeln des Telefons warteten. In Großbritannien hinterließ Joe May so gut wie gar keine sichtbaren Spuren als Regisseur oder Produzent: Seine einzige Nennung in einem Vorspann verdankt er der Tatsache, dass er für eine turbulente, vom Emigranten Julius Haimann produzierte Komödie, No Monkey Business (1935, Marcel Vernel), die Vorlage geliefert hatte. Doch auch wenn ihm in Großbritannien keine dauerhafte Karriere beschieden war, hatte May während seiner gesamten beruflichen Laufbahn in Europa sehr wohl Beziehungen zu unterschiedlichen Bereichen der britischen Filmindustrie. Es lohnt sich, sie einmal genauer anzusehen. Denn sie erzählen nicht nur von unterschiedlichen Aspekten in Mays Schaffen, sondern liefern auch Einblicke in seine Zeit -eine Epoche einschneidender technischer, politischer und kultureller Umwälzungen vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis hin zum »Dritten Reich« sowie den Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm. Britischer Vertrieb der Stummfilme Ihren Anfang nahmen die Beziehungen zu Großbritannien in den 1910er Jahren mit dem britischen Vertrieb von Mays Stummfilmen im Rahmen des kontinentalen Filmangebots. Das früheste bislang bekannte Beispiel ist der erste Kriminalfilm seiner Stuart-Webbs-Detektivserie, Die geheimnisvolle Villa
doi:10.5771/9783869168647-137
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