Legitimation von Herrschaft im Mesopotamien des 3. Jahrtausends v. Chr [chapter]

Horst Steible
2001 Moral und Recht im Diskurs der Moderne  
Legitimation von Herrschaft im Mesopotamien des 3. Jahrtausends v. Chr. Es ist das Anliegen dieser Untersuchung, aus der Sicht eines Sumerologen, dessen Arbeitsgebiet die Texte des 3. Jahrtausends v.Chr. bilden, einen fachspezifischen Beitrag zur Problematik der Legitimation von Herrschaft im Alten Mesopotamien zu liefern. Bei den Quellen, die das für diese Fragestellung relevante Material destellen, werden die originalen, von Herrschern abgefaßten Bau-und Weihinschriften zugrunde gelegt, die
more » ... rwaltungs-und Rechtsurkunden dagegen nicht berücksichtigt. Diese sogenannten >Königsinschriften< werden hier befragt von der altsumerischen Zeitl. über die Akkad-Zeit2 bis in die neusumerische Periode, 3 wobei die Schwerpunkte in der altsumerischen und altakkadischen Zeit liegen. Aus Gründen der Fundzufälle stehen dabei die Texte aus Lagag-Girsu im Vordergrund. Diese Texte enthalten drei verschiedene Titel für die Bezeichnung eines Herrschers: en, lugal und ensi 2 .4 en ist ein Titel, der in Uruk beheimatet und dort zum ersten Mal in historischen Inschriften um die Mitte des 3. Jahrtausends nachzuweisen ist, dessen Keilschrift-und älteres Bildzeichen sich jedoch bis in die Uruk-Zeit des späten 4. Jahrtausends v. Chr. zurückverfolgen läßt.5 Die akkadischen Entsprechungen dazu sind allgemein Ifilum »Herr« und in Südmesopotamien auch enum »En-Priester«. Hier wird dieser Titel 1 H. Steible (1982), Die altsumerischen Bau-und Weihinschriften, in: FAOS 5; J.S. Cooper (1986), Sumerian and Akkadian Royal Inscriptions 1. 2 1J. Gelb/S. Kienast (1990), Die altakkadischen Königsinschriften des dritten Jahrtausends v. Chr., in: FAOS 7; D. Frayne (1993), Sargonic and Gutian Periods (2334 -2113 BC), in: RIME 3 I. Kärki (1986), Die Inschriften der Dritten Dynastie von Ur, in: StOr 58; H. Steible (1991), Die neusumerischen Bau-und Weihinschriften, in: FAOS 9. 4 Zu diesen Titeln vgl. zuletzt Th. Jacobsen (1991), »The term ensf«, in: Aula Orientalis, 9, S. 113-121; dazu jetzt G.I. Se1z (1998), »über Mesopotamische Herrschaftskonzepte«, S. 284-286. 5 Siehe S. 84 mit Anm. 77. 67 durchgängig mit »Herr« übersetzt. Der Titel lugal, als 1u2-gal »großer Mann«6 zu etymologisieren, dem im Akkadischen 3.'arrum entspricht, wird einheitlich mit »König« übersetzt. Der Titel ensi 2, mit der akkadischen Entsprechung iffiakkum, dessen Träger in der altsumerischen Zeit zum Teil auch mit dem Titel lugal nachzuweisen sind, 7 wird durchweg mit »Stadtfürst« 8 übersetzt; zumindest seit dem Ende der altsumerischen Zeit ist er aber nur noch für Statthalter in Gebrauch.9 In Verbindung mit Gottesnamen begegnet dieser Titel attributiv erweitert als ensi2-gal-G(ötter)N(ame) »Ensigal(-Priester)(von) GN«. 1° Dies zeigt, daß der Stadtfürst zwei Aufgabenbereiche hat, einen säkularen und einen religiösen: Als alleiniger Vertreter des Stadtgottes ist er »Stadtfürst« und »oberster Priesterfürst«)' Alle drei Titel werden also konventionell wiedergegeben, und es ist nicht das Ziel dieser Untersuchungen, die alte und lang anhaltende Diskussion darüber aufzugreifen. 12 Auch auf den Aufbau des sumerisch-akkadischen Pantheons ist kurz zu verweisen. 13 Für seine Ausformung sind drei Götterkreise grundlegend, die in drei zentralen Städten beheimatet waren: in Uruk mit dem Gott An als Oberhaupt, in Eridu mit dem Gott Enki an der Spitze, und in Nippur mit dem Gott Enlil an erster Stelle. Ein erstes Bemühen um eine theologische Ordnung ist in den Götterlisten von FäraSuruppak (um ca. 2700 v. Chr.) 14 und Tell Abo Saläbibls zu fassen, zu denen die gleichzeitigen Götter-bzw. Tempel-Hymnen zu stellen sind. 16 Doch ist durch die gesamte altsumerische Zeit hindurch in den verschiedenen Stadtstaaten das Bestreben zu beobachten, das jeweilige lokale Pantheon mit den übergeordneten Gottheiten dieser drei Götterkreise zu verbinden. 17 Zu Beginn dieser Ausführungen seien die Gesichtspunkte genannt, die für die Legitimation von Herrschern zur damaligen Zeit ausschlaggebend waren. Zwei Arten von Legitimation sind zu unterscheiden: 6 »Große Person« bei W. Heimpel (1992), »Herrentum und Königtum«, in: ZA 82, S. 15f., wo ihre Rolle in der Verwaltungsstruktur von Ebla beleuchtet wird; ferner noch R Steinkeller (1993), »Early political developrnent in Mesopotamia«, in: Mario Liverani, Akkad, S. 124 (»the heads of tribal groupings«). 7 Siehe etwa Alcurgal und Fannatum, zwei Herrscher von Lagag, bei W. Heimpel (1992), S. 7. 8 Beachte den Vorschlag einer Grundbedeutung »efficient manager of donkeys« bei Th. Pantheon di Abt4-$421ablkh. 16 Gemeint sind die sogenannten za3-me-Hymnen, siehe dazu die Erstedition von RD. Biggs (1974), Inscriptions from Teil Aba Solabtich, in: on, 99,S. 45-56. 17 Für den Einfluß auf das Pantheon des Stadtstaates Lagag-Girsu siehe die zusammenfassende Graphik bei GJ. Selz (1995), Untersuchungen zur Götterwelt des altsurnerischen Stadtstaates von Lage S. 295. 68 a) Legitimation durch Götter, b) Legitimation durch Familienbande (Dynastiefolge) und/oder durch eigene Leistung. Beide Arten werden zur Begründung der Vergöttlichung des Königs herangezogen. 18 Aspekte, in denen sich das Bestreben um Legitimation manifestiert, sind: Zeugung (--Geburt), Adoption, Namensnennung, Aufziehen und Ausstattung des Herrschers, Erwählung, Proklamation und Autorisation. Für den Einstieg in die Problematik und die Demonstration der Vielseitigkeit des Themas seien hier an den Anfang gestellt die relevanten Text-Passagen aus der sog. Geierstele des E'annatum, des 3. Herrschers der I. Dynastie von Lagag, 19 die aus einer bestimmten historischen Situation heraus geschaffen worden ist. Es geht dabei um den langjährigen Konflikt zwischen den Stadtstaaten Lagag-Girsu auf der einen und dem benachbarten Umma auf der anderen Seite.2° Streitobjekt sind die Ländereien des Gu'edenna, der Kornkammer am i7-nun(-Kanal), der gleichzeitig die Grenze zwischen beiden Stadtstaaten bildete: Es geht um die Bewässerung eines großen fruchtbaren Landstriches.21 Der aktuelle Stand war folgender: Umma hatte sich (wieder einmal) dieses Landstriches bemächtigt, aus der Sicht von Lagag-Girsu zu Unrecht, deshalb fühlte sich der Herrscher von Lagag-Girsu verpflichtet, die alten Grenzen wiederherzustellen. Auf die Beschwerde darüber bei dem. Stadtgott von Girsu, Ningirsu, reagiert dieser mit einer Verlautbarung unbekannten Inhalts.22 Dann heißt es in Fannaturn 1 iv 9-v 17: iv 9) [dniin-[gir2j-su-ke 4 Ningirsu 10) [a]-e2-[an}-na-tum-[ma]
doi:10.1007/978-3-663-10841-2_4 fatcat:cas5dk7bgzbz3dyh2k6aoydkhy