»Auschwitz hin, Supermarkt her« Das musikalische Erschreiben der Gesellschaft der 1970er Jahre in Eckhard Henscheids Die Mätresse des Bischofs
Martin Schneider, Für Lauli
unpublished
1 Kronauer: Tabernakel, S. 12. Der Aufsatz deutet Eckhard Henscheids 1978 erschienenen Roman Die Mätresse des Bischofs als Versuch, die deutsche Gesellschaftsgeschichte der 1970er Jahre in musikalische Prosa zu bringen. Der Roman macht unterschiedliche soziale Sprechweise seiner Entstehungszeit hörbar und fügt sie zu einer Textpartitur zusammen, in der sich die verdrängte Geschichte: Nationalsozialismus, Krieg und Holocaust verwoben findet. Daraus ergibt sich die Gelegenheit, Henscheids von der
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... Forschung kaum beachteten Roman in Beziehung zu den Werken Thomas Bernhards und der Musikphilosophie Theodor W. Adornos zu stellen. Schneider: Eckhard Henscheids Die Mätresse des Bischofs ZGB 26/2017, 189-209 190 demjenigen Thomas Bernhards an die Seite zu stellen, wobei es sich stärker als dieses an Adornos Ästhetik anlehnt und Musik immer schon als gesellschaftlich vermittelt begreift. Bedenkt man Umfang und Vielseitigkeit von Eckhard Henscheids Werk, so muss das Desinteresse der literaturwissenschaftlichen Forschung erstaunen. Seine Romane feierten seit den frühen 1970er Jahren Erfolge, von der Trilogie des laufenden Schwachsinns wurden in den ersten Jahren nach Erscheinen knapp 250.000 Exemplare verkauft. 2 Auch als Satiriker der Zeitschriften pardon und Titanic machte er sich einen Namen, schrieb Erzählungen, Gedichte, Dramen, Polemiken sowie Essays zur Kulturgeschichte. Seit 2003 erscheint eine Werkausgabe. 3 Teile des Feuilletons wiesen früh auf die Bedeutung Henscheids für die deutsche Nachkriegsliteratur hin, andere sahen in ihm lediglich einen Spaß-und Klamaukschriftsteller. 4 Während überhaupt die meisten Arbeiten zu seinen Texten essayistischer Natur sind, 5 hat die Wissenschaft seit jeher -von wenigen Ausnahmen abgesehen -sein Werk ignoriert. 6 Vom germanistischen Desinteresse an Henscheid ist auch Die Mätresse des Bischofs betroffen, finden sich zu diesem Text doch gerade einmal drei Aufsätze sowie eine unveröffentlicht gebliebene Münchener Magisterarbeit. 7 Dies ist umso erstaunlicher, als der Roman vor Anspielungen und Querverweisen auf die Kulturgeschichte nur so strotzt 8 und ein formal avanciertes Spiel mit den literarischen und ästhetischen Traditionen des 18. und 19. Jahrhunderts treibt, das in der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur seinesgleichen sucht. Die Mätresse ist eine Fundgrube für Literaturwissenschaftler, insbesondere für jene, die sich für das Verhältnis von Literatur und Musik interessieren. Es gibt gute Gründe, Eckhard 2 Schmitt: Die schärfsten Kritiker der Elche, S. 180. 3 Ein ausführliches Verzeichnis von Henscheids Werken bis zum Jahr 1989 findet sich bei Ringel: Bibliographie Eckhard Henscheid. 4 S. hierzu die zahlreichen Rezensionen in Schardt: Über Eckhard Henscheid. 5 Vgl. Spinnen: Auf der anderen Seite; Gätke: Eckhard Henscheid; Kronauer: Tabernakel. 6 Eine aktuelle Bibliographie bietet Kruschel: Henscheid. Übergreifende Themen zu Henscheids Werk bzw. zu seiner Rolle innerhalb der ›Neuen Frankfurter Schule‹ behandeln die Dissertationen von Ringmayr: Humor und Komik und Zehrer: Dialektik der Satire. Der einzige Sammelband ist Arnold: Eckhard Henscheid, auch er enthält allerdings überwiegend essayistisch gehaltene Beiträge. Einzelnen Spezialaspekten widmen sich die Aufsätze von Homscheid: Kleinbürgerliche Endzeit und Pape: »Träume von Grünkohl«. 7 Hanuschek: Trilogie; ders.: »Jeder Mensch muß ruiniert werden«; Clausen: Ideomotorische Vita Nova; Gutteck: Die Geburt der epischen Tragikomödie. 8 Auch Hanuschek (Trilogie, S. 358) bemerkt: »Der Anspielungsreichtum, die philosophische oder auch die theologische Ebene von Henscheids Romanen sind bislang nicht systematisch untersucht worden.« ZGB 25/2016, 189-209 Schneider: Eckhard Henscheids Die Mätresse des Bischofs ZGB 25/2016, 189-209 Schneider: Eckhard Henscheids Die Mätresse des Bischofs
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