Eine Theorie der Schweiz* Föderalismus, direkte Demokratie und Besteuerung
Charles Blankart
unpublished
13 Warum ist die Schweiz so föderalistisch? Im Konzert der Nationen wird die Schweiz oft als unpassender fiskalischer Sonderfall angesehen, als ein Staat, der abseits der Wege geht, welche die gro-ßen Fiskalstaaten vorzeichnen, und der ihnen daher Ärger bereitet. Warum kann denn die Schweiz ausländisches Finanz-und Sachkapital nicht auf gleiche Weise besteuern, wie alle anderen großen Staa-ten es tun? Warum muss erst politischer Druck durch die OECD und die G20 aus-geübt werden, bevor die
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... z ein-lenkt? Eine Erklärung lautet, dass die Schweiz selbst keinen geschlossenen Steuerstaat darstellt, der Bund vielfach gar keine Besteuerungskompetenzen besitzt, sondern diese (wie im Fall der Holding-Besteuerung) seit alters her bei den Kantonen liegen. Der schweizerische Steuerföderalismus wird zwar auf Druck der Großen allmählich abgebaut. Aber die Schweiz ist diesbezüglich noch »rückständig«. Fehlende Regeln beim Bund führen zu sogenanntem »unfairem« Steuerwettbewerb, was den Ärger mit den großen Fiskalstaaten vertieft. Zur Ab-strafung droht beispielsweise Frankreich der Schweiz, die Staatlichkeit zu entzie-hen und sie zu einem »territoire non-co-opératif« herunterzustufen. 1 Etwas Theorie 2 Doch die Frage nach dem Sonderfall Schweiz ist damit nicht beantwortet, son-dern nur anders gestellt. Es gilt zu erklä-ren, wie es denn in der Schweiz zu die-ser »steuerlichen Rückständigkeit« ge-kommen ist. Die Gründe liegen vielfach Jahrhunderte zurück. Die Schweiz war nie ein absolutistischer Staat, in dem ein Fürst die örtliche Steuerkraft durch professio-nelle Steuereinzieher systematisch aus-schöpfte. Doch warum ist der Schweiz das Joch des flächendeckenden Abso-lutismus erspart und damit die fiskalische Rückständigkeit erhalten geblieben? Hier-zu ist eine Theorie erforderlich. Als Ausgangspunkt hilft das sogenannte Beansche Gesetz, benannt nach dem amerikanischen Wirtschaftshistoriker Richard Bean (1973). Seiner Ansicht nach haben es große Flächenstaaten einfacher, sich zu verteidigen, als kleine zerklüftete Herrschaften. Denn der zu verteidigende Außenumfang einer Herrschaft wächst linear , ihre Fläche jedoch im Quadrat. Es müssen in Flächenstaaten relativ weni-ger Mittel zur Verteidigung der Außengren-zen eingesetzt werden als in kleinen zer-klüfteten Gebieten. Diese einfache These lässt noch weitere Schlussfolgerungen Die Schweiz wird oft als föderalistische Kuriosität und direktdemokratisches Unikum bezeichnet. Doch so lässt sich die Schweiz nicht verstehen. Es bedarf einer Theorie der Schweiz. Wird die geographische Ausgangssituation des Territoriums der Schweiz als exogene Variable betrachtet, so wird die nachfolgende Entwicklung besser verständlich. Aus der fraktionierten Geographie ha-ben sich die Institutionen des Föderalismus und der direkten Demokratie entwickelt und behaup-tet, wie sie die Schweiz von heute charakterisieren. Obwohl im 20. Jahrhundert innenpolitische Zentralisierungstendenzen zu verzeichnen sind, haben die Gebietskörperschaften ihre Autono-mie in der Schweiz wesentlich besser aufrechterhalten als in anderen Staaten. Eine wichtige Rol-le spielt dabei die Schuldenselbstverantwortung von Bund. Kantonen und Gemeinden. Sie stabili-siert nicht nur die Haushaltsführung der nachgeordenten Gebietskörperschaften, sondern schützt auch vor Übergriffen des Zentralstaats.
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