12. Die Personalisierung der Individualität im Medium von Rollen [chapter]

2019 Homo absconditus  
Die Individualisierung der Person und die Personalisierung des Individuums: Einleitung Wir erleben uns schon immer in einer Welt, die in dem Kontrast zwischen gegenstandsorientierter und latent selbstorientierter Aktivitätsrichtung aufscheint. Zudem unterscheiden wir anhand unseres eigenen Körperleibes zwischen Innen-und Außenwelt, wobei er als das Grenzverhältnis zwischen beiden Welten vorkommt, eben als der Unterschied und der Zusammenhang zwischen dem Leibsein und dem Körperhaben. Wenn man
more » ... ch fragt, woher wir solche Differenzen (an unseren Aktivitätsrichtungen nach außen bzw. innen, gegenstands-respektive selbstorientiert) bilden können, kommt man auf das Strukturproblem der Mitwelt. Wir nehmen sie schon immer in Anspruch, während wir derartige Differenzierungen vornehmen. Insofern trägt uns die Mitwelt (siehe erster Teil des vorliegenden Buches). Aber wenn man es nicht bei einem Spuk oder Gespenst von der Mitwelt belassen will, müssen wir, personale Lebewesen, doch selber sie auch bilden. Die Mitwelt wurde (im 11. Kap.) als das Schauspiel der soziokulturell elementaren, an den Eigennamen gebundenen Rolle fassbar, dank der sich jede Person von uns verdoppeln kann, was sich in der Kindesentwicklung am Umgang mit Puppen, Teddys etc. anschaulich zeigt. Unser Doppelgängertum ist vom Phänomen her offenbar, wenn wir uns den Zugang zum eigenen Körper vergegenwärtigen, dem wir als Leib -im Extremfall auf Gedeih und Verderb -ausgeliefert sind, während wir ihn als Körper zu beherrschen vermögen. Dieser unmittelbare Zugang lässt sich auch sprachlich zum Kategorischen Konjunktiv der Lebensführung entfalten, in der wir gemeinhin die Unvertretbarkeit und Einzigartigkeit unseres leiblichen Ichs mit der soziokulturellen Vertretbarkeit und Erwartbarkeit eines allgemein verkörperbaren Ichs auszugleichen versuchen. Im elften Kapitel wurde dieser Unterschied näher als das Schauspiel vorgestellt, das der Träger der persona, der in der Elementarrolle seines Eigennamens spielt, und der Rollenspieler, der mit dieser Rolle spielt, miteinander oder auch gegeneinander aufführen können. Im vorigen Kapitel standen die Phänomene der Individualisierung der an den Eigennamen gebundenen Elementarrolle im Vordergrund, d. h. sie selbst wurde als gegeben angenommen. Wer in seiner Rolle spielt, erlernt deren Kompetenzen, sich auszudrücken, zu handeln und zu sprechen. Die Ambivalenz Dass ein jeder "sich nur im Umweg über andre und anders als ein Jemand hat, gibt der menschlichen Existenz in Gruppen ihren institutionellen Charakter": Die Mitwelt begegnet nun als "ein Geflecht aus Person und Sache, eine Welt des Wir, in der jeder zu jedem in der ersten, zweiten, dritten Person Rückbezüglichkeit und Gegenseitigkeit seiner Verhältnisse zu beachten hat" (Plessner 1983e, 194). Die historisch gewachsene Mitwelt erscheint der in sie Hineingeborenen zunächst als das unmittelbar Selbstverständliche. Erst im Maße nachträglicher Besinnung auf Grund von Konfliktsituationen tritt die Mitwelt thematisch hervor. Das soziale Gefüge, der Außenhalt, von dem her wir uns exzentrisch erleben können, inkorporiert uns "als Jemanden mit Namen und Status" (ebd., 196f.): Durch den Namen werden wir für uns selber wie für die anderen zu einem ansprechbaren Individuum, dessen Selbst am Namen nach außen wie nach innen Halt findet. Der Status betrifft "die weite Spannung des Rollenbegriffs" zwischen einerseits dem ascribed status, also dem, "was einer durch Geburt und Umstände im sozialen Felde ist", und andererseits dem achieved status, also dem, "was er aus sich macht" (ebd., 201). "Elementare Rollenhaftigkeit" nennt Plessner, so zur Erinnerung, den "fundamentalen Zug leibhafter Existenz, die eines Namens bedarf, woran sie zur Person wird" (Plessner 1983e, 198). Unter der im Verhaltensspiel erlernbaren, die Personalität auszeichnenden dreifachen Positionalität war verstanden worden, sich selbst, also personal, von außerhalb seines eigenen Körperleibes, eben exzentrisch, als die Differenz zwischen unvertretbarem Leib, der uns einschließt, und vertretbarem Körper, der anderen Körpern gleicht, gegeben zu sein. Demgegenüber unterstellt die Rolle "als theatralischer Begriff" bereits, "dass es einen Rollenträger gibt, der seine Existenz wechselt, um die Rolle zu spielen" (ebd.). Damit wird das Spielelement freigesetzt, wobei jetzt aber nicht wie im 11. Kapitel die leiblichen Rückbezüge aufs Individuum im Vordergrund stehen, sondern die sozialen Selbstbezüge der Verkörperung für und über andere Personen. Das Spielelement gestattet "nun einer Person, eine andere zu sein. Sie tritt an ihre Stelle." Die im ersten Schritt erfasste "Konstitution der Person" wird im zweiten Schritt verdoppelt zur Grunderfahrung des "Doppelgängerturns", für das sich "das Bild von Rollenspieler und Maskenträger" anbietet, und das in repräsentativen Zusammenhängen zu einer "gesellschaftlichpolitischen Kategorie" (ebd., 199) wird. Während im 11. Kapitel die privat-
doi:10.1515/9783110666373-015 fatcat:4rje3h7v5nbglkk26m6dipsdai