Restrisiken der Kultur

Jakob Hohnerlein, Fachinformationsdienst Für Internationale Und Interdisziplinäre Rechtsforschung
2021
Es sind eigentlich gute Tage für die Kultur. Die Wiedereröffnung der Museen, Theater, Konzerthäuser und Kinos hat in einigen Bundesländern begonnen oder ist, zumindest für Open-Air-Veranstaltungen, in greifbare Nähe gerückt. Und doch gibt es einen Wermutstropfen. Das Bundesverfassungsgericht hat am 20. Mai 2021 als Teil einer Reihe von Beschlüssen, mit denen Eilanträge und Verfassungsbeschwerden gegen die "Bundesnotbremse" abgewiesen wurden, auch bestätigt, dass Kultureinrichtungen in Kreisen
more » ... t einer 7-Tage-Inzidenz von über 100 je 100.000 Einwohner geschlossen bleiben müssen ( § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 IfSG). Im Gegensatz zu einigen der zeitgleich verkündeten Beschlüsse hat die zuständige Kammer in der Entscheidung dabei nicht nur den Eilantrag abgewiesen, sondern die Verfassungsbeschwerde prominenter Musiker:innen, unter anderem der Geigerin Anne-Sophie Mutter, von vornherein nicht zur Entscheidung angenommen. Dass die hohen Erwartungen, die mit den vielen Verfassungsbeschwerden gegen die "Bundesnotbremse" verbunden waren, abermals enttäuscht werden, kommt nicht überraschend. Dennoch ist der Beschluss eine verpasste Chance. Die Kammer wagt es nicht, von der Politik einzufordern, künstlerische Entfaltung (jenseits digitaler Formate) auch unter Pandemiebedingungen bei Anwendung umfassender Schutzkonzepte zu ermöglichen. Wie weit die Kunstfreiheit ausgeübt werden kann, bestimmt sich danach, was die Politik für infektionsschutzmäßig vertretbar hält. Unbeanstandet bleibt damit auch das Gesamtkonzept, wonach dem weitgehend einschränkungslosen Weiterlaufen der Wirtschaft Vorrang vor der offenbar verzichtbaren Kultur zukommt.
doi:10.17176/20210525-173304-0 fatcat:npmpzeghqbdffc24tvu5geekiu