Das Recht der Verantwortungsgesellschaft

Klaas Hendrik Eller
2019 RW  
"Verantwortung" erlebt derzeit eine beachtliche Begriffskarriere. Wenngleich ein ideengeschichtlich junger Begriff, ist er zum Fluchtpunkt des Umgangs mit gesellschaftlicher Komplexität geworden. Ob bei technischen Großunfällen, unternehmerischen Bilanzfälschungen oder nachrichtendienstlichen Datenlecks: Bei Schadenslagen in jeder Sphäre des Sozialen ertönt der Ruf nach Verantwortung, mal in rhetorisch-floskelhafter, mal konzeptionell gehaltvoller Weise. Die Besonderheit des
more » ... fs besteht darin, dass er über seine Ausprägungen als politische, wirtschaftliche, rechtliche und moralische Verantwortung von Grund auf pluralisiert ist und Recht damit zu einem Bewertungskriterium unter mehreren wird. Hierdurch vermittelt Verantwortung dem Recht eine kognitive und normative Offenheit und ermöglicht es, in einem experimentellen Rahmen Anforderungen an Handlungs- und Systemrationalität in hochmodernen Gesellschaften zu denken. Zugleich läuft Verantwortung als "umbrella term" ständig Gefahr, sich selbst zu sabotieren und zur allgegenwärtigen Begriffshülse zu verkommen. Nicht nur das Individuum, auch das Verantwortungsprinzip selbst droht unter der Ubiquität von Verantwortung erdrückt zu werden. Diese Dialektik zeigt sich insbesondere am rechtlichen Umgang mit vernetzten Strukturen in Wirtschaft und Verwaltung ("Verbundzusammenhänge"), deren hochgetriebene Arbeitsteilung und relative Informalität häufig gerade als Ausdruck einer "organisierten Unverantwortlichkeit" verstanden werden. Hier bildet das Verantwortungsprinzip eine Hilfskonstruktion für das Recht in der Gestaltung rechtlichen Wandels.
doi:10.5771/1868-8098-2019-1-5 fatcat:xkbk5n42mjdszo24gk3z5b7gzi