Umwelt und Innenwelt der Tiere [microform] / von J. von Uexküll
[book]
Jakob von Uexküll
1909
unpublished
Ol z; t\ CD' nj :t CO O a m D Berlin. Verlag von Julius Springer. 1909. Sr. Durchlaucht dem Fürsten Philipp zu Eulenburg und Hertefeld in Verehrung und Dankbarkeit gewidmet. Einleitung. Mit dem Wort "Wissenschaft" wird heutzutage ein lächerlicher Fetischismus getrieben. Deshalb ist es wohl angezeigt, darauf hinzuweisen, daß die Wissenschaft nichts anderes ist als die Summe der Meinungen der heutelebenden Forscher. Soweit die Meinungen der älteren Forscher von uns aufgenommen sind, leben auch
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... in der Wissenschaft weiter. Sobald eine 'Meinung verworfen oder vergessen wird, ist sie für die Wissenschaft tot. Nach und nach werden alle Meinungen vergessen, verworfen oder verändert. Daher kann man auf die Frage: "Was ist eine wissenschaftliche Wahrheit?" ohne Übertreibung antworten: "Ein Irrtum von heute." Die Frage, ob es einen Fortschritt in der Wissenschaft gibt, ist darum nicht ganz so leicht zu beantworten wie gemeinhin angenommen wird. Wir hoffen wohl von gröberen zu feineren Irrtümern fortzuschreiten, ob wir uns aber wirkHch auf dem guten Wege befinden, ist für die Biologie in hohem Grade zweifelhaft. Die Betrachtung des Lebendigen bietet bei jedem Schritt dem unbefangenen Beobachter eine so unermeßliche Fülle von Tatsachen, daß die bloße Registrierung dieser Tatsachen jede Wissenschaft unmöglich machen würde. Erst die Meinung des Forschers, die das Beobachtete gewaltsam in Wesentliches und Unwesentliches scheidet, läßt die Wissenschaft erstehen. Die herrschende Meinung entscheidet rücksichtslos über das, was als " wesentlich" gelten soll. Wird sie gestürzt, so fallen mit ihr Tausende von fleißigen, mühsamen und ausgezeich-V. Uexküll, Umwelt und Innenwelt der Tiere. 1 2 Einleitung. neten Beobachtungen als "unwesentlich" der Vergessenheit anheim. In der Biologie stehen wir noch unter dem frischen Eindruck, den der Sturz des Darwinismus in uns allen hervorgerufen hat. Die Erfolge rastloser Arbeit eines halben Jahrhunderts erscheinen uns heute als unwesentlich. Kein Wunder, daß die Biologen jetzt bestrebt sind, ihren Arbeiten eine festere Grundlage zu geben, als es die Lehre von der Vervollkommnung der Lebewesen war. Der Erfolg dieser Bestrebungen ist nicht sehr ermutigend. Über die Grundlagen, auf denen sich die Biologie der Tiere als stolzes wissenschaftUches Gebäude erheben soll, ließ sich bisher keine Einigung erzielen. Und doch entscheidet diese Einigung das Schicksal der Biologie. Bleibt die Frage nach den Grundlagen unentschieden oder der Mode unterworfen, so gibt es keinen Fortschritt, und alles, was mit dem größten Geistesaufwand von der einen Generation erarbeitet wurde, wird von der nächsten wieder verworfen werden. Nur wenn alle Hände nach einem gemeinsamen Plane* tätig sind, um auf fester Grundlage ein Haus zu erbauen, kann etwas Gedeihliches und Dauerndes entstehen. Es ist lehrreich und vielleicht auch nützlich, sich darüber Klarheit zu verschaffen, welche Ursachen die Einigung in der modernen Biologie der Tiere bisher verhindert haben. Die moderne Tierbiologie verdankt ihr Dasein der Einführung des physiologischen Experimentes in das Studium der niederen Tiere. Die Erwartungen, die man von physiologischer Seite an die Erweiterung des Forschungsgebietes knüpfte, wurden nicht erfüllt. Man suchte nach Lösung für die Fragen der Physiologie der höheren Tiere und fand statt dessen neue Probleme. Die Auflösung der Lebenserscheinungen in chemische und physikalische Prozesse kam nicht um einen Schritt weiter. Dadurch hat sich die experimentelle Biologie in den Augen der Physiologen strengster Observanz diskreditiert. Für alle jene Forscher aber, die im Lebensprozeß selbst und nicht in seiner Zurückführung auf Chemie, Physik und Mathematik den " wesentlichen" Inhalt der Biologie sahen, mußte der ungeheure Reichtum an experimentell lösbaren Problemen ein besonderer Ansporn sein, um sich den niederen Einleitung. 3 Tieren zuzuwenden. In wenigen Jahren ist denn auch die Fülle des bearbeiteten Stoffes so groß geworden, daß heutzutage die Ordnung des Stoffes als die viel dringendere Aufgabe erscheint, gegenüber der stets fortschreitenden Neuforschung. Baumaterial ist in Hülle und Fülle vorhanden, um den Bau der Wissenschaft zu beginnen. Nur muß man sich über den Bauplan einigen. Das natürhchste wäre, wenn man mit den alten, längst vorhandenen Bauplänen weiterarbeitete. In den schönen Zeiten, da Anatomie und Physiologie noch ungetrennt eine einheitliche Biologie bildeten, faßte man jedes Tier als eine funktionelle Einheit auf. Die anatomische Struktur und ihre physiologischen Leistungen wurden gleichzeitig erforscht und als zusammengehörig betrachtet. Es fällt niemand ein, eine Arbeitsteilung in die Technologie einzuführen, und zwei Klassen von Ingenieuren auszubilden, die einen für das Studium der Struktur, die anderen für das Studium des Energieumsatzes in den Maschinen. Technologie wie Technik würden durch diese Teilung bald zugrunde gerichtet werden. Auch die Biologie wäre durch die Teilung in Anatomie und Physiologie längst zugrunde gegangen, wenn nicht die Medizin mit ihren praktischen Bedürfnissen den Zusammenschluß der beiden Wissenschaften wenigstens für den Menschen peremptorisch forderte. Diesem Zusammengehen der Wissenschaften verdanken auch die neuesten Arbeiten ihre hohe biologische Bedeutung. Man braucht bloß an das Lebenswerk Pawlows zu erinnern, oder an die großen Erfolge der englischen Physiologen wie Langley und Sherrington. Überall dort, wo Physiologie und Anatomie getrennt vorgingen, ist es nicht zu ihrem Heile ausgeschlagen. Die vergleichende Anatomie, die immer mehr die Leistungen der Organe vernachlässigte, gelangte schheßlich dazu, die Struktur der Lebewesen als eine bloß " formale Einheit" zu betrachten. Die " Homologie" wurde zur Grundlage einer ganz neuen Lehre von den Beziehungen der Körperformen, während die " Analogie" verachtet wurde, und so traten tote räumliche Beziehungen an die Stelle der lebendigen Wechselwirkung der Organe. Erst in neuester Zeit führt die experimentelle Embryo-1* 4 Einleitung. logie die anatomische Wissenschaft zu den Quellen der tiefsten Lebensprobleme zurück. Ebenso verlor die allgemeine Physiologie immer mehr das Verständnis dafür, daß jedes Lebewesen eine " funktionelle Einheit'* ist. An Stelle des Strebens nach Erkenntnis des Bauplanes eines jeden Lebewesens, der allein aus Anatomie und Physiologie erschlossen werden kann, trat das einseitige Studium der mögUchst isolierten Teilfunktionen, um diese als rein physikalisch-chemische Probleme behandeln zu können. Dies war das Schicksal der Biologie der höheren Tiere. Ganz eigenartig gestaltete sich das Schicksal der Biologie bei den niederen Tieren. Hier gingen nicht Anatomie und Physiologie getrennte Wege, sondern die Physiologie wurde zeitweilig vollkommen unterdrückt. Dies geschah durch den Darwinismus. Der Darwinismus (nicht Darwin selbst) betrachtete die Leistungen der anatomischen Struktur als " unwesentlich" gegenüber dem einen Problem: wie sich die Struktur der höheren Tiere aus der der niederen entwickelt habe. Man sah in der Tierreihe den Beweis für eine stufenweis ansteigende Vervollkommnung von der einfachsten zur mannigfaltigsten Struktur. Nur vergaß man dabei das eine, daß die Vollkommenheit der Struktur gar nicht aus ihrer Mannigfaltigkeit erschlossen werden kann. Kein Mensch wird behaupten, daß ein PanzerschifE vollkommener sei als die modernen Ruderboote der internationalen Ruderklubs. Auch würde ein Panzerschiff bei einer Ruderregatta eine klägliche Rolle spielen. Ebenso würde ein Pferd die Rolle eines Regenwurms nur sehr unvollkommen ausfüllen. Die Frage nach einem höheren oder geringeren Grad von Vollkommenkeit der Lebewesen kann gestellt werden, wenn man jeden Bauplan mit seiner Ausführung zusammenhält und prüft, in welchem Fall die Ausführung am gelungensten ist. Es unterliegt keinem Zweifel, daß bei dieser Fragestellung die niederen Tiere, weil sie zu den ältesten Geschlechtern gehören, den Preis davontragen werden, denn es scheint die Regel zu gelten: je älter die FamiUe, um so besser die Durcharbeitung. Man versucht ferner das Vollkommenheitsproblem zu erörtern, indem man die Bedürfnisse der Organismen mit ihrem Bauplan vergleicht und fragt, inwieweit entspricht der Bauplan Einleitung. 5 dem Bedürfnis. Das ist auch die Fragestellung des Darwinismus gewesen. Nur aus ihr heraus erhält die Behauptung, die höheren Tiere seien die vollkommeneren, einen Sinn. Wenn man nämlich die Bedürfnisse des Menschen als Maß ansieht, an dem alle Baupläne der Tiere zu messen sind, so sind natürUch die höchsten Tiere die vollkommensten. Das ist aber ein zu handgreiflicher Irrtum, um darüber ein Wort zu verlieren. Haben wir doch zur Erforschung der Bedürfnisse eines Tieres gar keine anderen Hilfsmittel zur Hand, als eben seinen Bauplan. Er allein gibt uns Aufschluß über die aktive wie passive Rolle, die das Tier in seiner Umwelt zu spielen berufen ist. Deshalb ist die ganze Fragestellung sinnlos. Aber selbst die Behauptung, daß die variierenden Individuen einer Art mehr oder weniger gut ihrer Umwelt angepaßt seien, ist vöUig aus der Luft gegriffen. Jedes variierende Individuum ist entsprechend seinem veränderten Bauplan anders, aber gleich vollkommen seiner Umgebung angepaßt. Denn der Bauplan schafft in weiten Grenzen selbsttätig die Umwelt des Tieres. Diese Erkenntnis, die ich Schritt für Schritt zu beweisen gedenke, kann allein als dauernde Grundlage der Biologie angesehen werden. Nur durch sie gewinnen wir das richtige Verständnis dafür, wie die Lebewesen das Chaos der anorganischen Welt ordnen und beherrschen. Jedes Tier an einer anderen Stelle und in anderer Weise. Aus der unübersehbaren Mannigfaltigkeit der anorganischen Welt sucht sich jedes Tier gerade das aus, was zu ihm paßt, d. h. es schafft sich seine Bedürfnisse selbst entsprechend seiner eigenen Bauart. Nur dem oberflächlichen Blick mag es erscheinen, als lebten alle Seetiere in einer allen gemeinsamen gleichartigen Welt. Das nähere Studium lehrt uns, daß jede dieser tausendfach verschiedenen Lebensformen eine ihm eigentümliche Umwelt besitzt, die sich mit dem Bauplan des Tieres wechselseitig bedingt. Es kann nicht wundernehmen, daß die Umwelt eines Tieres auch andere Lebewesen mit umschheßt. Dann findet diese wechselseitige Bedingtheit auch zwischen den Tieren selbst statt und zeitigt das merkwürdige Phänomen, daß der Verfolger ebensogut zum Verfolgten paßt, wie der Verfolgte zum Q Einleitung. Verfolger. So ist nicht bloß der Parasit auf den Wirt, sondern auch der Wirt auf den Parasiten angepaßt. Die Versuche, diese wechselseitige Zusammengehörigkeit benachbarter Tiere durch allmähliche Anpassung zu erklären, sind kläglich gescheitert. Sie haben zudem das Interesse von der nächstliegenden Aufgabe abgewandt, die darin besteht, erst einmal die Umwelt eines jeden Tieres sicherzustellen. Diese Aufgabe ist nicht so einfach, wie der Unerfahrene glauben könnte. Es ist freiHch nicht schwierig ein beliebiges Tier in seiner Umgebung zu beobachten. Aber damit ist die Aufgabe keineswegs gelöst. Der Experimentator muß festzustellen suchen, welche Teile dieser Umgebung 'auf das Tier einwirken und in welcher Form das geschieht. Unsere anthropozentrische Betrachtungsweise muß immer mehr zurücktreten und der Standpunkt des Tieres der allein ausschlaggebende werden. Damit verschwindet alles, was für uns als selbstverständlich gilt: die ganze Natur, die Erde, der Himmel, die Sterne, ja alle Gegenstände, die uns umgeben, und es bleiben nur noch jene Einwirkungen als Weltfaktoren übrig, die dem Bauplan entsprechend auf das Tier einen Einfluß ausüben. Ihre Zahl, ihre Zusammengehörigkeit wird vom Bauplan bestimmt. Ist dieser Zusammenhang des Bauplanes mit den äußeren Faktoren sorgsam erforscht, so rundet sich um jedes Tier eine neue Welt, gänzlich verschieden von der unsrigen, seine Umwelt. Ebenso objektiv wie die Faktoren der Umwelt sind, müssen die von ihnen hervorgerufenen Wirkungen im Nervensystem aufgefaßt werden. Diese Wirkungen sind ebenfalls durch den Bauplan gesichtet und geregelt. Sie bilden zusammen die Innenwelt der Tiere. Diese Innenwelt ist die unverfälschte Frucht objektiver Forschung und soll nicht durch psychologische Spekulationen getrübt werden. Man darf vielleicht, um den Eindruck einer solchen Innenwelt lebendig zu machen, die Frage aufwerfen, was würde unsere Seele mit einer derart beschränkten Innenwelt anfangen. Aber diese Innenwelt mit seelischen Qualitäten auszumalen und aufzuputzen, die wir ebensowenig beweisen wie ableugnen können, ist keine Beschäftigung ernsthafter Forscher. Einleitung. 7 Über der Innenwelt und der Umwelt steht der Bauplan, alles beherrschend. Die Erforschung des Bauplanes kann meiner Überzeugung nach allein die gesunde und gesicherte Grundlage der Biologie abgeben. Sie führt auch Anatomie und Physiologie wieder zusammen zu ersprießUcher Wechselwirkung. Wird die Ausgestaltung des Bauplanes für jede Tierart in den Mittelpunkt der Forschung gestellt, so findet jede neuentdeckte Tatsache ihre naturgemäße Stelle, an der sie erst Sinn erhält und Bedeutung. Der Inhalt des vorliegenden Buches soll dem Zwecke dienen, die Bedeutung des Bauplanes möglichst eindringUch vor Augen zu führen und an einzelnen Beispielen zu zeigen, wie Umwelt und Innenwelt durch den Bauplan miteinander zusammenhängen. Ein Lehrbuch der speziellen Biologie wird hier nicht geboten, sondern nur der Weg gezeigt, auf dem man zu ihm gelangen könnte. In der Auswahl der vorliegenden Beispiele bestimmte mich vor allem der Wunsch, möglichst planmäßige Bilder zu geben. Natürlich sind überall Lücken vorhanden, und zwar nicht bloß im physiologischen, sondern auch im anatomischen Material. Da ich andererseits nur solches anatomische Material brauchen konnte, das physiologisch belebt war, mußte die große Masse anatomischer und zoologischer Erkenntnisse fortfallen. Ebenso mußten alle physiologischen Ergebnisse vernachlässigt werden, die nur physikalisches oder chemisches Interesse boten. Aber auch jene Strukturen, deren Leistungen gut erforscht sind, mußten unberücksichtigt bleiben, wenn ihre Komphkation zu große Anforderungen an das Vorstellungsvermögen des Lesers stellten. Endhch habe ich mich auf die Wirbellosen beschränkt, weil ich dort selbst zu Hause bin, die höheren Tiere Berufenerem überlassend. Von den Wirbellosen bheben die Bienen und Ameisen unberücksichtigt, weil über sie bereits eingehende Lehrbücher vorhanden sind. Ich könnte nun zu dem Inhalte des Buches übergehen, denn der Gesichtspunkt, von dem aus es betrachtet werden soll, ist ausreichend dargelegt. Aber noch erübrigt auf diejenigen Meinungen einzugehen, die der Biologie eine andere Grundlage zu geben bestrebt sind. g Einleitung. Was auf die eben dargelegte Weise entstehen kann, ist eine spezielle Biologie aller Tierarten. Eine solche Biologie würde sehr einseitig sein, wenn sie auf das Hilfsmittel der Vergleichung verzichtete. Alle Tiere vollführen ihre animalischen Leistungen mit Hilfe von Geweben, die sich durch die ganze Tierreihe hindurch sehr ähnlich bleiben. Muskelgewebe und Nervengewebe zeigen überall analoge Leistungen, mögen sie sich in noch so verschiedenartigen Organen zusammenfinden. Dies ist von großer Bedeutung für die spezielle Biologie, denn die allgemein gültigen Eigenschaften der Muskel und Nerven lassen sich auch bei jenen Tieren als gültig voraussetzen, deren Körperbeschaffenheit keine physiologische Analyse bis herab auf die einzelnen Gewebe zuläßt. Es wird daher die vergleichende Physiologie der Gewebe immer ein sehr notwendiger Bestandteil der speziellen Biologie bleiben und, es läßt sich auch nichts dagegen sagen, wenn man die vergleichende Gewebskunde der Besprechung der einzelnen Tiere vorangehen läßt. Ich habe davon Abstand genommen, weil ich zeigen wollte, in welchen Tierarten wir am leichtesten zu allgemeineren Schlüssen für die allgemeine Gewebskunde gelangen. Ganz anders nimmt sich die Biologie aus, wenn man die Vergleichung zur Grundlage des ganzen Studiums macht. Dies ist durch Loeb geschehen, und zwar in einer außerordentlich originellen und interessanten Weise. Die große Mehrzahl der tierischen Bewegungen geht folgendermaßen vonstatten : Ein äußerer Reiz wirkt auf ein Rezeptionsorgan, dieses erteilt dem Nervensystem eine Erregung. Vom Nervensystem geleitet erreicht die Erregung schließlich den Muskel, der sich dann verkürzt. Diesen Vorgang nennt man einen Reflex. Loeb fand nun, daß eine große Anzahl von Tieren, wenn sie ganz elementaren Reizen ausgesetzt werden, wie es Licht, Schwere oder einfache chemische Substanzen sind, stets mit einer geordneten Bewegung antworten, durch die sie sich entweder der Reizquelle zu-oder von ihr abwenden. Er sah darin einen elementaren Vorgang, den er als Trop Ismus bezeichnete und je nach der Richtung, die von der Bewegung eingeschlagen wurde, sprach er von positivem oder negativem Tropismus. Loeb selbst hat die Möglichkeit zugegeben, daß es sich Einleitung. 9 bei vielen Tropismen um noch nicht genügend analysierte Reflexe handeln könne. Aber bestimmte Tropismen, z. B. den Phototropismus, der auf einseitige Belichtung eintritt, will er als ein den physikalischen Phänomen gleichzusetzendes Elementarphänomen angesehen wissen. Es sollen die Lichtstrahlen bei ihrem Durchgang durch den Tierkörper diesen zu drehen befähigt sein wie etwa ein Magnet die Eisenfeilspäne. Tiere, die auf diese Weise auf das Licht reagieren, nennt man photopathische. Es besteht aber kein Zweifel, daß in vielen Fällen das Licht einfach auf der beleuchteten Seite des Tieres einen Reflex auslöst, der zu einer einseitig gerichteten Bewegung führen muß, da auf der beschatteten Seite kein Reflex entsteht. Die Tiere, die auf diese Weise gegen das Licht reagieren, nennt man phototaktische. Der photopathische Phototropismus ist ein physikalischer Vorgang, der phototaktische dagegen ein Reflex. Nun hat Fr. Lee an einzelligen Tieren nachweisen können, daß die photopathische Erklärung ihrer Bewegungen sehr wohl durch eine phototaktische ersetzt werden kann. Neuerdings hat Radi den Nachweis zu führen versucht, das Licht wirke auf Insekten ebenso richtunggebend wie die Gravitation auf einen schwebenden Körper. Dagegen hat G. Bohn gefunden, daß die unzweifelhafte richtunggebende Wirkung der beleuchteten Gegenstände auf Schnecken und Krebse abhängig ist vom physiologischen Zustand der Tiere. Man sieht daraus, wie unsicher die Deutung dieser Vorgänge ist. Zwar erscheint es verlockend, alle Bewegungen der Tiere auf Tropismen zurückzuführen, denn das überhebt uns der Aufgabe, die scheinbar einfachen Vorgänge als Leistungen einer schwer zu ermittelnden Struktur zu behandeln. Aber eine sichere Grundlage gewannt man nur durch das Studium der Struktur und des Bauplanes. Schon jetzt scheint diese Ansicht mehr und mehr Boden zu gewinnen. Aber nur ein Teil der Forscher wendet sich dem Studium des Bauplanes zu. Ein anderer folgt einer neuen Lehre, die das Studium des Bauplanes verwirft und die Tiere frei von jeder Analogie mit den Maschinen betrachten will. IQ Einleitung.
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