Anmerkungen zur Jugendpolitik der KPD 1945/46 [chapter]

Michael Buddrus, Hartmut Mehringer, Michael Schwartz, Hermann Wentker
1999 Erobert oder befreit?  
Anmerkungen zur Jugendpolitik der KPD 1945/46 "Für uns, die wir aus den Trichterfeldern in die Trümmerhaufen zurückgekehrt sind, erhebt sich die drängende Frage: Wie können wir es verhüten, daß eine ganze junge Generation wieder dermaßen getäuscht und verraten wird? Die Antwort lautet: Seien wir mißtrauisch. Mit dem Glauben soll uns keiner anfangen. Nur noch mit der Vernunft. Einen Stein des Weisen lassen wir uns in der Politik nicht mehr anbieten. Den gibt es nicht. Versuchen wir, den
more » ... auf die Finger zu schauen und hinter ihre Tricks zu kommen. Die Qualitäten der Politiker werden wir leicht daran erkennen, wogegen sie ankämpfen. Sie sind in Ordnung, wenn sie ihren Kampf gegen zwei Dinge führen. Erstens: gegen die Ausbeutung des Menschen durch einen Mitmenschen, gegen die Ausbeutung einer Schicht, einer Klasse, einer Nation durch die andere. Und zweitens: wenn sie kämpfen gegen jede Art von Geistesbetäubung und Gewissenszwang." Peter von Zahn, 1946 1 Folgt man herkömmlichen Definitionen, legt hierbei den kleinsten gemeinsamen Nenner zugrunde und interpretiert Politik als "konsequentes, zielbewußtes Handeln", das sich "an tatsächlichen oder theoretischen Alternativen orientiert" und eine "ordnende Gestaltung der für den Bestand des Gemeinwesens entscheidenden Sachund Bewußtseinsbereiche zum Gegenstand hat" 2 , dann scheint sich die Frage, ob das, was die KPD 1945 in Deutschland unternahm, als Politik zu bezeichnen ist, offensichtlich leicht mit "Ja" beantworten zu lassen. Ermittlungen darüber, ob die KPD denn 1945 Jugendpolitik betrieben habe, gestalten sich indes schon komplizierter; denn bislang existieren weder eine allgemeingültige Definition noch eine innerwissenschaftliche Ubereinkunft darüber, was denn das überhaupt sei: die Jugendpolitik. Die Schwierigkeiten beginnen schon damit, daß in dem hier zu betrachtenden Zeitraum, 1945/46, der Begriff Jugendpolitik als terminus technicus überhaupt nicht vorkam 3 . Uns begegnet hier das merkwürdige Phänomen, daß von Parteien und Staat in Deutschland seit etwa 1880 etwas betrieben wurde, was in der Tat Jugendpolitik war, aber nicht als solche bezeichnet wurde. Zwar war seit damals allen ge-1 Zahn, Verrat an der deutschen Jugend, S. 38. 2 Hier zitiert nach Brockhaus Enzyklopädie Bd.XIV, S. 743. 3 Lediglich Anton Ackermann benutzte in seiner Rede auf der Brüsseler Parteikonferenz der KPD den Begriff "Jugendpolitik", allerdings in ironisierender, distanzierender Absicht; vgl. dazu: Partei und Jugend, S. 199. Unauthenticated Download Date | 3/4/20 5:54 PM jeweiligen "jungen Generation", ihrer wie auch immer gearteten Integration oder entpolitisierenden Atomisierung in hohem Maße abhing, inwieweit die jeweils herrschenden politischen Kräfte in der Lage sein würden, ihre Gesellschaftskonzeptionen durchzusetzen. Und bekannt ist heute auch, daß etwa seit der Gründung des Kaiserreiches in Deutschland staatliche Instrumentalisierungsversuche am "Faktor Jugend" stattfanden und die damit im Zusammenhang stehenden und daraus resultierenden jeweils spezifischen Mobilisierungs-und Funktionalisierungsstrategien wichtige Aufschlüsse darüber ermöglichen, welchen Stellenwert "die" Gesellschaft "ihren" jungen Menschen beimaß. Die sich in Deutschland zumindest seit der Reichsgründung in allen politischen Lagern zunehmend durchsetzende Erkenntnis von der vielfältigen Relevanz des "Faktors Jugend" hatte entscheidend dazu beigetragen, eine den jeweiligen strategischen bzw. tagespolitisch-pragmatischen Bedürfnissen angepaßte Jugendpolitik als relativ eigenständigen Politikbereich zu entwickeln und zu etablieren 4 . Dennoch erreichte in keinem politischen Lager die immer stärker werdende Beschäftigung mit dem "Faktor Jugend" einen Punkt, an dem das auf die Jugend bezogene "zielgerichtete Handeln" auch als "Politik" bezeichnet wurde -es blieb zunächst ein Sachverhalt ohne Benennung. Die ersten gewissermaßen "amtlichen" Definitionsversuche von "Jugendpolitik" in der Bundesrepublik und in der DDR dokumentieren die unterschiedlichen Betrachtungsweisen dieses Politikbereiches, der mit zum Teil konträren Inhalten gefüllt wurde; sie signalisieren zugleich die Tendenz zu dessen Instrumentalisierung. So wird Jugendpolitik im [westdeutschen Staatslexikon sowohl in einen weiten Kontext gestellt, zu dem "alle politischen Maßnahmen" gehören, "die sich auf die Jugend mitbeziehen", als auch in einem engeren Sinne betrachtet, in dem vor allem die Fürsorgepflicht und das Erziehungsrecht der Eltern, des Staates und der Kirchen hervorgehoben werden und Jugendliche vor allem als unmündige, schutzbedürftige Minderjährige fungieren 5 . Im Wörterbuch zur sozialistischen Jugendpolitik der DDR agieren Jugendliche vor allem als "Hauptreserve der marxistisch-leninistischen Partei", tragen zur "Verwirklichung der historischen Mission der Arbeiterklasse" bei, während Jugendpolitik als "untrennbarer Bestandteil der Gesamtpolitik" der SED bezeichnet wird, die als "Kampf für den Sozialismus und Kommunismus und gegen den Imperialismus" charaktersiert wird und "wissenschaftlich begründet" sei 6 . 4 Vgl. dazu Buddrus, Generation, S. 265 ff. 5 Staatslexikon, S. 682; darin heißt es weiter: "Jede konkrete Gestalt der J[ugend]politik ist abhängig davon, welche Vorstellungen vom Wesen der J[ugend] ihr zugrunde liegt [. ..] Alle konkreten Ziele und Maßnahmen der J[ugend]politik sind darüber hinaus bestimmt von der jeweiligen geistigen, sittlichen und sozialen Struktur der Gesellschaft [...] Die J[ugend]politik der B[undes]R[epublik] Deutschland] wird entscheidend geprägt durch die Regelungen des Grundgesetzes." 6 Stichworte "Jugendpolitik der SED" und "sozialistische Jugendpolitik", in: Wörterbuch Jugendpolitik, S. 124 ff., S. 245 f. Dazu heißt es weiter: Jugendpolitik sei "die Politik, die den Platz und die Aufgaben der Jugend der DDR und ihrer sozialistischen Jugendorganisation im Kampf für Frieden, Demokratie und Sozialismus wissenschaftlich begründet [.. .]. In ihrer Jugendpolitik läßt sich die SED von den grundlegenden Gedanken und Hinweisen der Klassiker des Marxismus-Leninismus zur Jugendfrage leiten [...]. Hauptanliegen der Jugendpolitik ist die sozialisti-Unauthenticated Download Date | 3/4/20 5:54 PM Anmerkungen zur Jugendpolitik der KPD 289 Kaum ein anderer, eine Teilpolitik kennzeichnender Begriff ist so klärungsbedürftig wie der der Jugendpolitik. Jugendpolitik bezeichnet ein äußerst diffuses, amorphes, keinesfalls klar umrissenes Feld politischer Ziele, Maßnahmen, Themen oder Akteure, und ohne weitere Charakterisierung bliebe verborgen, ob es sich um eine Politik für oder gegen, mit, von, über oder durch Jugendliche handelt, oder ob von jedem etwas enthalten ist. Die Unübersichtlichkeit dessen, was mit Jugendpolitik gemeint ist, liegt zum einen an der Definition des Begriffes "Jugend". Seit der "Erfindung des Jugendlichen" 7 ist die Literatur zur Begriffsbestimmung von "Jugend" kaum noch zu überschauen. Diese Unübersichtlichkeit nimmt weiter zu, da letztlich alle gesellschaftlichen Sachverhalte, die etwas mit Jugend zu tun haben, sofort auch zu Jugendpolitik avancieren, sobald sie in politischen Kategorien bedeutsam werden; das gilt ζ. B. für die Bereiche der Kultur-, Sozial-, Bildungs-und Medienpolitik ebenso wie für die Sektoren der Wirtschafts-, Militär-oder Rechtspolitik, was bedeutet: Jugendpolitik avanciert zu einem der größten gesellschaftlich relevanten Politikbereiche. Damit ist ein weites Feld für Diskurse, Mißverständnisse und Definitionsbemühungen abgesteckt 8 . Jugendpolitik als pragmatische wie symbolische Politik erfuhr in Deutschland immer dann starke öffentliche Resonanz, Aufwertung und einen quantitativen Ausbau ihrer Infrastruktur, wenn das Thema Jugend in einem solchen gesellschaftspolitischen Rahmen verhandelt wurde, der für alle Ebenen von Jugendpolitik, d.h für Jugendpolitik als Ressort-, Querschnitts-und Zukunftspolitik, bedeutsam war 9 . Stets folgten Konjunkturen der Jugendpolitik den Entwicklungs-und Modernisierungsschüben der deutschen Gesellschaft, so auch 1945. "]ugendpolitiscbe" Konzeptionen der KPD Um die Voraussetzungen und Intentionen sowie das ideologische und mentale Korsett jugendpolitischen Maßnahmen der KPD im Jahre 1945 betrachten und verstehen zu können, scheint ein Blick in die Vergangenheit unumgänglich, ein Blick darauf, was die KPD bis zu diesem Zeitpunkt unter Jugendpolitik verstanden hatte, auch deshalb, weil erst ein Rückblick zu beleuchten vermag, über welche Erfahrungen und Potenzen die Partei am Ende des Zweiten Weltkriegs auf jugendpolitischem Gebiet verfügte. sehe Erziehung der heranwachsenden Generation durch die Aneignung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung". 7 So der Titel eines Buches über die Entdeckung "der" Jugend als Faktor des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland und ihre Instrumentalisierung; vgl. Roth, Erfindung. 8 Auch hier kann kein Definitionsversuch unternommen, sondern lediglich auf das Problem verwiesen werden; angesichts der diffusen und oft pragmatischen, augenblicks-und zweckbestimmten Definitionen von Jugendpolitik und ihrer Klientel sowie ihrer variierenden Verwendungsbreite sind übergreifend gültige Begriffs-und Inhaltsbestimmungen wahrscheinlich nicht möglich, so daß im Einzelfall immer wieder neu bestimmt werden muß, was denn eigentlich gemeint sei. Zur historischen Entwicklung, zu Inhalts-und Begriffsbestimmung von Jugendpolitik vgl. die zwar soziologisch angelegte, jedoch auch für historische Betrachtungen äußerst instruktive Studie von Nikles, Jugendpolitik, S. 9-65 und S. 187-195. 9 Vgl. dazu Schefold/Böhnisch, Jugendpolitik, S. 795-808. 16 Zitiert nach: Partei und Jugend, S. 181 ff. 17 Zitiert nach: Brüsseler Konferenz der KPD, S. 61 ff. 18 Ebenda S. 541 ff. 19 Zitiert nach Jahnke/Buddrus, Deutsche Jugend, S. 249 ff. Im September 1938 hatten die Führungen von KPD und KJVD entsprechende Richtlinien über die Aufklärungs-und Propagandaarbeit verabschiedet, die von deutschen Jungkommunisten mit der Taktik des "trojanischen Pferdes" unter Anknüpfung an sozialpolitische Forderungen der HJ in der NS-Jugendorganisation geleistet werden sollte (vgl. ebenda S. 280 ff.). Dieses Programm erwies sich aus mehreren Gründen als undurchführbar: Die Akzeptanz des Dritten Reiches unter der Jugend war sehr hoch, jede Art von Widerstand wurde drakonisch verfolgt, und als die Kommunisten ihre illegalen Unauthenticated Download Date | 3/4/20 5:54 PM 20 Zitiert nach: Berner Konferenz der KPD, S. 72. 21 Danach verfolgten England und Frankreich das Ziel, "Deutschland von seinem Freundschaftspakt mit der Sowjetunion loszureißen, das deutsche Volk zu unterjochen, ihm unerhörte Lasten aufzuerlegen, seine nationale Selbständigkeit zu rauben, Deutschland in englische Vasallenstaaten umzuwandeln und das deutsche Volk in den Krieg gegen die Sowjetunion hineinzutreiben". Diese am 30. 12. 1939 von der KPD-Führung in Moskau verabschiedeten, bislang nicht publizierten "Richtlinien für die Arbeit unter der Jugend und für den Aufbau eines Kommunistischen Jugendverbandes" sind 1995 erstmals veröffentlicht worden (Lange, Texte, S. 226 ff.). 22 Mit dem neuen KJVD sollten "innerhalb" von HJ und BDM oppositionelle Jugendliche "im Geiste des Marxismus-Leninismus zu standhaften Revolutionären" erzogen werden; dazu war
doi:10.1524/9783486593709-016 fatcat:35oov4nwbvfxhbeed3yx6yb37q